Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Fritz Jurmann · 18. Jul 2013 · Musik

Bei Pountneys „Zauberflöte“ am See ging der Zauber nicht flöten - Gelungene Mischung aus schrillem Fantasy-Spektakel und Ernsthaftigkeit

Die Spannung war fast körperlich spürbar an diesem ersten Premierenabend der Bregenzer Festspiele mit Mozarts „Zauberflöte“ am See. Würde David Pountneys Konzept als Regisseur aufgehen, damit in zwei Jahren die dringend notwendigen finanziellen Mittel in die leeren Kassen spülen? Der erste Eindruck bestätigte: Eine in der Ausstattung fast zu schrille und mit vielen Puppen teils allzu künstlich aufgepeppte Inszenierung vermochte nicht Pountneys zutiefst menschliche Deutung dieses Märchens und seine ganz persönliche psychologische Fokussierung der einzelnen Figuren zu trüben. Dazu bot ein lauer Sommerabend auch die idealen äußeren Voraussetzungen für eine komplett ausgebuchte Tribüne (auf dem Vorplatz standen Leute mit Täfelchen „Suche Karten“). Trotz dichterer Wolken am Abend kam der Donner nur aus den Bühnenboxen, und auch der eine Viertelstunde vor Ende einsetzende leichte Regen vermochte die gute Stimmung und die deutliche Zustimmung auf den Rängen für Protagonisten und Leading Team (Pountney in stilgerecht güldener Extravaganz samt Käppi aus dem Atelier Ott in Schlins) nicht mehr zu trüben.

Auch nach 200 Jahren ein Rätsel geblieben


Die 1791 als letzte Oper Mozarts entstandene „Zauberflöte“ ist nach über 200 Jahren längst europäisches Kulturgut. Eines jener überragenden Meisterwerke, die aufgrund ihrer Einzigartigkeit zum Rätsel geworden sind. Auch in der Vielschichtigkeit der Handlungsstränge und der Vielsprachigkeit der Musik gibt es kaum Vergleichbares – und trotz dieser scheinbaren äußeren Kompliziertheit besitzt diese Oper einen Popularitätsstatus wie kaum ein anderes Musiktheaterwerk.

Da gilt es nun freilich zu differenzieren: Jene Figuren im personalintensiven Geschehen, derentwegen die breite Masse sich in die an sich ungeliebte Oper verfügt, sind Papageno und Papagena, Figuren aus dem Wiener Volkstheater, mit denen sich auch der kleine Mann identifizieren kann. Nicht umsonst war Mozarts Librettist Emanuel Schikaneder persönlich der erste Papageno der Rezeptionsgeschichte und damit eine Art Hanswurst. Und tatsächlich: Als bei der Premiere in Bregenz die ersten Takte von Papagenos Auftrittslied erklingen und er selbst mit seiner Maienpfeife durch die überdimensionierten Grashalme der Schildkrötenbühne hervorlugt, beginnen rund um mich wildfremde Menschen diese Melodie mitzusummen: „Ein Mädchen oder Weibchen wünscht Papageno sich …“ Das funktioniert heute noch, und das wird auch in hundert Jahren so sein.

Spidermen auf der Seebühne


Die „Zauberflöte“ ist eben nicht umzubringen, auch wenn Mozarts herrliche Ouvertüre wie in diesem Fall durch sich von den Hängebrücken abseilende und schreiende Stuntmen empfindlich beeinträchtigt wird. Man weiß, das sind die Sklaven Sarastros auf der Jagd nach Pamina, der Tochter der Königin der Nacht, die sie entführen sollen. Sie kommen immer wieder, diese „Spidermänner“, geben damit dem Affen Zucker und dem Publikum das, was es hier als „Sehspiel“ erwartet. Das mag Geschmackssache sein, logisch ist es nicht, unter diesem Gesichtspunkt aber zumindest legitim. Wirklich ideal ins Geschehen eingebaut sind die Stuntleute nur einmal, wenn sie nach den Klängen des verzauberten Glockenspiels zur Melodie „Das klinget so herrlich, das klinget so schön“ wie dressierte Affen im Takt der Musik ihre Kunststückchen vollführen.

An die drei riesigen Drachenhunde, die Bühnenbildner Johan Engels aus dem Kulturraum seiner südafrikanischen Heimat entlehnte, hat man sich mittlerweile gewöhnt. Wirklich ästhetisch kommen sie erst im Licht zur Wirkung, wenn sie von den Hängebrücken als optischem Ballast befreit sind. Der Schildkrötenpanzer als gegenüber früher verkleinerte Spielfläche ist erstmals in der Geschichte der Seeproduktionen eine lautlos funktionierende Drehbühne, die zwischen aufblasbaren riesigen Grashalmen, die wie Spargelspitzen in allen Farben in den Abendhimmel ragen, und der Welt der Königin der Nacht und des Sarastro den ganzen Abend hin und her rotiert: Alles dreht sich, alles bewegt sich. Die Bühnentechnik zeigt auch in vielen ausgeklügelten Lichtstimmungen (Fabrice Kebour), was sie draufhat.

Puppen vermitteln eher Sterilität


Und dann sind da noch die immer wieder auftauchenden Puppen aus dem Atelier der Kostümdesignerin Marie-Jeanne Lecca, die eine kindliche Verspieltheit signalisieren sollen, in Wirklichkeit aber Sterilität vermitteln. Die drei Damen kommen amazonenhaft als überdimensionierte Vogelgestalten daher, mit verblüffend synchron bewegten Mündern, während live dazu gesungen wird. Zu Missgeburten  geraten sind die drei Knaben. Mit ihren riesigen Köpfen und winzigen Ärmchen wirken sie gnomenhaft, wie längst verblichene Teletubbies aus dem Kinderfernsehen.

Wie sympathisch war da doch Jérome Savarys Lösung vor 27 Jahren, der die drei mit einer Seilbahn (!) auf die Bühne transportierte. Dass die Partien der drei Knaben von  Damen gesungen werden, ist künstlerisch unstatthaft. Mozart hat nicht umsonst  Knabensoprane verlangt, der stimmliche Unterschied ist eklatant und wird sofort registriert. Auch die zwei Geharnischten kommen schwerfällig als gepanzerte Einhörner in Ritterrüstung zum Einsatz.

Pountneys vierte und wohl letzte See-Regie


Pountney hat in seiner vierten und wohl letzten See-Regie nach „Holländer“, „Nabucco“ und „Fidelio“ all dies schon im Vorfeld vorsichtig mit den Worten begründet: „Ein Stück atmet mit der Zeit“. In einer heutigen Deutung will er also Kunst mit Unterhaltungswert für das Publikum verkaufen. Und nach einiger Zeit hat man sich auch an spektakuläre Action- und Folterszenen gewöhnt und konzentriert sich trotz aller optischer Ablenkungsmanöver auf das Wesentliche dieser Inszenierung, Pountneys kluge und klare Personenführung und eine Botschaft, die ganz ohne männerbündlerische Freimaurer-Thematik auskommt. Deshalb erscheinen auch Sarastros Priester bei den Chören nicht auf der Bühne, sind nur akustisch durch den ausgezeichneten Prager Philharmonischen Chor präsent, der im Festspielhaus beim Orchester singt. Erstmals also eine Seeaufführung ohne irgendeine Massenszene im engeren Sinn.

Dafür hat sich Pountney in seinem Konzept ganz auf die Ideale der Aufklärung und des Humanismus konzentriert. Die Entwicklung zum selbstbestimmten Menschen ohne fremde Machtgelüste steht im Mittelpunkt, rassistische und frauenfeindliche Strömungen dieses Werkes werden durch punktgenaue Charakterisierung eingegrenzt. Als Quintessenz lässt er, nachdem die einander bekriegenden Sarastro und die Königin der Nacht in umgekehrten Rollen von gut und böse umgekommen sind und Papageno sich mit seiner Papagena zwecks Erzeugung kleiner Papagenos und Papagenas in einem Ei verkrochen hat, das adelige Paar Tamino und Pamina im Schlusschor in die Zuschauerreihen schreiten, bezieht damit das Auditorium ein in die Verantwortung für eine Zukunft in Menschlichkeit. Die Chorstimmen dazu kommen live aus dem Festspielhaus. Dass die beiden Protagonisten und die Chor-Statisten dabei Regenbogen-Leibchen tragen, weist wohl in eine falsche Richtung.

Dirigent mit wenig Mozart-Kenntnissen


Damit zu Mozarts unsterblich gewordener Musik, derentwegen wohl die meisten Menschen an den See pilgern werden. Hier erweist sich der amerikanische Dirigent Patrick Summers, den man eigentlich für das zunächst heuer vorgesehene Musical „Show Boat“ engagiert hatte, nicht als so Mozart-kundig, wie man das gerade bei einem österreichischen Festival erwarten dürfte. Die Musik kommt bei ihm routiniert und breitflächig aus den Lautsprechern, interessante Akzente, spannende Tempi, eine persönliche Deutung dagegen sucht man vergeblich. Kleine Unstimmigkeiten im Orchester und mit dem Ensemble, verständlich angesichts der riesigen Distanzen  und der Verständigung nur über Monitore, werden sich noch einspielen.

Zwar musizieren die Wiener Symphoniker gewohnt klangschön, motiviert und in bewusst schlanker Besetzung, doch die Soundanlage mit dem praktischen Richtungshören bläht ihren Klang wieder über Gebühr auf. Da hat man auch auf der Seebühne schon viel differenzierteres Musizieren erlebt. Mit einigen vorsichtigen Kürzungen ist das original über dreistündige Werk auf die derzeitige Länge von pausenlosen zwei Stunden 20 Minuten gerafft worden, noch immer an der Grenze für das Publikum. Weitere Striche hätten gut getan, auch etwa auf den Dialog der Königin mit ihrem verstorbenen Mann, eine Szene wie in der Geisterbahn, hätte man gerne verzichtet.

Gutes Niveau bei den Sängern


Gesungen wird von der Premierenbesetzung zwar unterschiedlich, doch auf einem großteils ausgezeichneten Level. Große Namen kann man sich am See ja nicht erwarten, auch ein Rolando Villazón sang in der Bregenzer „Bohème“, noch bevor er berühmt war. So ist zuvorderst Ana Durlovski mit flammender Attacke eine wirklich tolle, rachsüchtige „Königin der Nacht“, die ihre beiden Koloraturarien, jede ausgestattet mit einem extrem hohen F, fast makellos und mit scheinbarer Leichtigkeit in den Nachthimmel schmettert. Auch der wunderbar tragende Bass von Alfred Reiter als tyrannischer  Sarastro ist durchaus bewunderungswürdig, Daniel Schmutzhard als österreichisch angehauchter Papageno kommt nach zähem Beginn als erfrischend naiver Naturbursche rasch ins Spiel, reizend an seiner Seite die Papagena von Dénise Beck.

Gisela Stille gibt eine edle, ihren wunderbar lyrischen Sopran voll auskostende Pamina, der für den erkrankten Rainer Trost als Tamino kurzfristig eingesprungene Norman Reinhardt erfüllt seinen Part durchaus glaubhaft, nur fehlt ihm stimmlich die erforderliche Leichtigkeit für diese Parade-Partie im Fach eines Mozart-Tenors. Martin Koch als triebhafter Monostatos macht im Kostüm des Ober-Spidermans in großer Beweglichkeit gute Figur und auch seine innere Gebrochenheit deutlich.

Als „intelligentes Spektakel mit Niveau“ wird diese „Zauberflöte“ wohl in die Geschichte der Bregenzer Festspiele eingehen. Da kann sich jeder das aussuchen, was ihn interessiert und anspricht, die Tribüne ist für diese Saison schon fast ausgebucht und die Rechnung mit der wieder funktionierenden Cash-Cow am See damit aufgegangen.

 

Weitere 27 Aufführungen von Mozarts „Zauberflöte“ auf der Seebühne der Bregenzer Festspiele ab 19. Juli bis inklusive 18. August – Beginn im Juli 21.15 Uhr, im August 21.00 Uhr – Dauer 2 Stunden 20 Minuten