Blasmusik mit sozial-integrativem Background: Das Sinfonische Blasorchester Vorarlberg überraschte mit einem neuen Vorzeigemodell
1998 hat sich Thomas Ludescher, Landeskapellmeister des Vorarlberger Blasmusikverbandes, mit der Gründung des Sinfonischen Blasorchesters Vorarlberg (SBV) selbst die Vision einer Elite-Blaskapelle erfüllt, die mit einem großen Klangspektrum auch klassisches Repertoire spielend bewältigt. In diesen 15 Jahren hat er seine Vision auf eindrückliche Weise bestätigt, in jährlichen Galakonzerten, die mit außergewöhnlichen Leistungen und mutiger Programmwahl für Aufsehen sorgten.
Erstmals heuer hat man am Freitag das Galakonzert im Bregenzer Festspielhaus auf eine breitere Basis gestellt und über das reine Blasmusikkonzert hinaus, das fast zur Selbstverständlichkeit wurde, mit einem sozial-integrativen Background versehen, der für die Zukunft durchaus zu einem Vorzeigemodell werden könnte.
„Musik grenzenlos“
Das SBV, nach seinem Austritt aus dem Vorarlberger Blasmusikverband nun eine eigenständige GesmbH, machte dabei unter dem Motto „Musik grenzenlos“ die Integration fremder Kulturen und von Menschen mit Behinderung zum geistig-emotionalen Zentrum des Abends. Schon vorab hatte man in einem von Geschäftsführer Elmar Rederer moderierten Empfang samt Programmeinführung ausgewählte Gäste auf die gemeinsame Linie von Integration und Inklusion eingeschworen. Man wollte sich nicht als übliche Benefizveranstaltung sehen, bei der am Ende ein Scheck mit dem Reinerlös das Gewissen aller Beteiligten beruhigt, sondern als Benefitabend, von dem alle Beteiligten profitieren. Das Land machte durch die Anwesenheit von LH Markus Wallner und dem neuen Kulturlandesrat Harald Sonderegger deutlich, dass es diesen neuen Zugang unterstützt.
Als Partner fungierten die Gemeinschaftsstiftung Rheintal mit dem Ehepaar Mario und Ingrid Praschil, das türkische Generalkonsulat Bregenz mit Generalkonsul Ayhan Enginar und die Lebenshilfe Vorarlberg, vertreten durch Geschäftsführerin Michaela Wagner. Schon im Vorfeld hatte man 80 Schützlinge der Lebenshilfe samt Betreuern auf diesen Abend vorbereitet und zum Konzert eingeladen. Dass diese Menschen manchmal auch in unpassenden Momenten ihre Freude über die Musik geräuschvoll artikulierten, hat wohl niemanden gestört und ist ganz im Sinne des gewählten Mottos. Ebenso gab es auch einen Workshop mit Jugendlichen, die kostenlos die Generalprobe besuchen durften.
Maßgeschneiderte Arrangements
Grenzen werden dann im Konzertsaal auch musikalisch überwunden, indem Thomas Ludescher sein diesmal 57-köpfiges Elite-Orchester aus Profi-Blasmusikern der Region mit einem auch für ihn komplett neuen Programm abseits des Mainstream präsentiert – auf einem künstlerischen Niveau und in einer Klangkultur, mit der man spielend auch einem Symphonieorchester Paroli bieten kann. Voraussetzung dafür sind freilich speziell maßgeschneiderte Arrangements für diese opulente Besetzung, deren wichtigstes der bei Herbert Willi in Komposition ausgebildete Ludescher teils zusammen mit seinen Musikern gleich selbst anfertigte und damit eine weitere Grenze sprengte.
So kommt seine Version des in den fünfziger Jahren entstandenen ersten Klavierkonzertes, op. 34, des türkischen Komponisten Adnan Saygun zur Uraufführung, das in einer zeitgemäß polytonalen Tonsprache, manchmal auch etwas im modischen Fahrwasser, melodische und rhythmische Elemente aus der anatolischen Volksmusik verarbeitet. Das ergibt vor allem im Mittelsatz interessante, orientalisch gefärbte Klangkombinationen und zart aufblühende Klavier-Lyrismen über satten Hörnern. Die erfahrene, vielfach ausgezeichnete türkische Pianistin Gülsin Onay, die dieses Konzert bereits in vielen Ländern auf der ganzen Welt gespielt hat, beweist als Solistin Feingefühl, bewältigt aber im Dialog mit dem stets präsenten Blasorchester bravourös auch die geschliffen virtuosen Ecksätze, die an Prokofjew oder Bartok erinnern. Neben dem geballten Blecheinsatz liegt es allerdings auch am klanglich etwas stumpf gewordenen „Steinway“ im Festspielhaus, dass das Klavier im 3. Satz manchmal hoffnungslos untergeht.
Liszt komponierte für den Sultan
Dafür präsentiert die Pianistin zwei mit Bedacht ausgewählte Solozugaben. Zunächst ist das ein Marsch von Franz Liszt, der für den Sultan Abdul Mesit entstanden ist. Man will damit der Türkischen Gemeinschaft im Land die kulturelle Teilhabe erleichtern und auf die vielleicht weniger bekannte Seite der Wechselwirkungen zwischen Westeuropa und der Türkei hinweisen, wie es Anselm Hartmann, künstlerischer Berater des SBV und Stiftungsvorstand in der Rheintalstiftung, in einem Aufsatz im Abendprogramm getan hat. Die zweite Zugabe betrifft mit einem zart hingetupften Nocturne von Chopin die Kernkompetenz der Pianistin.
Das zweite Hauptwerk des von Anselm Hartmann kundig moderierten Abends ist die Symphonische Dichtung um eine Grenzen sprengende Figur, „Till Eulenspiegels lustige Streiche“, op. 28, von Richard Strauss, und da stellt sich, mit kleinen Abweichungen in der Präzision, wieder der „Sacre du Printemps“-Effekt von 2009 ein: Man kann auch diese Darbietung mit Ausnahme des Klangcharakters kaum mehr von jener eines Symphonieorchesters unterscheiden. Und es scheint, als habe Strauss dieses Werk mit seinem gefürchteten Hornsolo (brillant: Jeffrey Winter) eigens für diese Bläser komponiert, die daraus tatsächlich eine farbenprächtige „Tondichtung“ machen. Eine von David Maslanka vertonte „Vater unser“-Bitte ergibt ein spirituelles, breitflächig angelegtes Werk, der „Huapango“ bringt zum Abschluss des offiziellen Programms südamerikanisches Temperament in den Saal.
Sattes Blech, ein Wald von Holzbläsern
Die Intonationsreinheit ist den ganzen Abend hindurch vorbildlich, dazu kommt eine unglaubliche Sicherheit im Kollektiv und in vielen weiteren Solostimmen, die im Laufe des Abends hervortreten. Thomas Ludescher ist der ruhende Fels in der klanglichen Brandung, in der auch sattes Blech und gewaltiges Schlagzeug erfreulicherweise nie den Wald von Holzbläsern zu übertönen vermag, die Balance also stets gewahrt bleibt. Und der Dirigent sich immer dann besonders wohl und in seinem Element zu fühlen scheint, wenn es um den kontinuierlichen Aufbau großer Steigerungen und um gewaltige Ausbrüche geht, wie sie in diesem Programm mehrfach beeindruckend zelebriert werden.
Trotz der schon gewohnten Überlänge des Programms von über zweieinhalb Stunden reißt der Spannungsbogen zwischen dem SBV und seinen Zuhörern nicht ab: von Donizettis spritziger „Regimentstochter“-Ouvertüre, die bereits am Beginn Einflüsse der „türkischen Musik“ spiegelt, bis zu den gewichtigen Zugaben wie Bernsteins „Candide“-Ouvertüre oder einem Ausschnitt aus Mahlers „Dritter“, die gut und gerne jeweils eigene Programmpunkte ergeben hätten.
Zu denken gibt freilich der enttäuschend schwache Besuch dieses Konzertes mit nur rund 500 Personen im knapp halbvollen Parkett, was die Veranstalter auf das verlängerte Wochenende, den Dauerregen und den neuen Schauplatz Festspielhaus zurückführen. So sehnt man sich nach der Fertigstellung des zentraler gelegenen Montforthauses, das in der Vergangenheit bei SBV-Konzerten manchmal auch zweimal ausverkauft war.