Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Fritz Jurmann · 07. Aug 2011 · Musik

Das Grauen im Walde: Mit ihrer Kammeroper „Der blonde Eckbert“ konnte Judith Weir nun bei den Festspielen überzeugen

Beides probiert – kein Vergleich. In vielerlei Hinsicht ist die am Samstag am Kornmarkt aufgeführte Kammeroper „Der blonde Eckbert“ der britischen Komponistin Judith Weir ihrer heuer als Hausoper für die Bregenzer Festspiele geschaffenen Uraufführung „Achterbahn“ überlegen. Dieses Stück ist weit präziser gebaut, besitzt eine packende Story, eine weitgehend spannende Musik und hat vor allem eines, was man bei der platten „Achterbahn“ total vermisst hat, nämlich Atmosphäre.

Da tut es auch nichts zur Sache, dass dies keine Uraufführung war. „Der blonde Eckbert“ erblickte bereits 1994 in London das Scheinwerferlicht der Bühne, auch diese nun auf eine pausenlose Stunde konzentrierte „Taschenversion“ des Werkes wurde bereits 2006 mit Erfolg in London und später am Muziektheater Transparent in Antwerpen gezeigt und in der dortigen Besetzung nun von Bregenz übernommen. Der heimische Beitrag dazu war ein zehnköpfiges Kammerensemble aus Musikern des Symphonieorchesters Vorarlberg, die qualitativ auf Augenhöhe mit Sängern, Regie und Bühne ganz wesentlich zum rauschenden Erfolg dieses Abends beigetragen haben.

Psychologisch fein gesponnener Plot

Der Plot beruht ja immerhin auf einer fantastischen Novelle, die Ludwig Tieck, der deutsche Dichter der Romantik, Ende des 18. Jahrhunderts zu Papier gebracht hat, psychologisch fein gesponnen im Netz eines Vier-Personen-Stückes. Der blonde Eckbert ist im Original eigentlich ein Ritter, der in einer frühen Form des Spießbürgertums als Biedermann zurückgezogen mit seiner Frau Berthe in einem schmucken Häuschen im Wald lebt. Von Anfang an wird aus vielen Details klar, dass über dieser Idylle ein schreckliches Geheimnis schweben muss. Es wird durch Freund Walther aufgedeckt, der das Böse schlechthin personifiziert – nicht umsonst mit angedeuteter Hitler-Frisur ausgestattet. Er wird, nachdem Eckbert ihn erschossen hat, als Wiedergänger zum zweiten Freund Hugo und schließlich zum alten Weib, das die Sache vollends klar macht: Eckberts Frau ist eigentlich seine Schwester! Und dann ist da noch ein Vogel, der das Geschehen laufend kommentiert, sein immer wieder verwendeter Begriff „Waldeinsamkeit“ wird zu einer Art Codewort für das Grauen im Walde und trotz des englischen Originaltextes auch konsequent auf deutsch ausgesprochen.

Dieser zunächst ziemlich abstrus scheinende Mischung aus Krimi und Märchen bezieht ihre Spannung aus dem Spiel mit der Ungewissheit, in der sie erzählt wird. Das Ganze hat den tiefenpsychologischen Reiz einer Doppelbödigkeit zwischen Sein und Schein, des sehnsüchtigen Ahnens und Vermutens in zwielichtigen Trugbildern. Eine Art Alptraum-Geschichte also zwischen Wahn und Wirklichkeit, in der für den Zuhörer ganz bewusst vieles offen bleiben soll. Eine Anforderung, auf die man sich mit zunehmendem Verlauf der Handlung gerne einlässt.

Intelligente Videoprojektionen verdichten die Atmosphäre

Dafür sorgt auch die Inszenierung durch den holländischen Regisseur Wouter Van Looy, der den einstigen Ritter natürlich in der Gegenwart ansiedelt und der Handlung in einer sehr dichten, konsequenten Personenführung unterschwelligen Drive gibt, ohne dabei die transzendente Atmosphäre zu zerstören. Zur Verdichtung der einfach gestalteten Bühne tragen die subtile Lichtregie (Paul van Laak) und intelligente Videoprojektionen bei (das belgische Team Sarah & Charles), die in entscheidenden Augenblicken die Gesichter des Ehepaares auch in monströser Größe zeigen.

Die Musik, die Judith Weir dafür gefunden hat, ist so wie bei „Achterbahn“ zwar alles andere als „modern“ im heutigen Sinne. Aber sie ist hier weit plastischer, viel stärker konturiert und strukturiert, bringt instrumental in oft impressionistisch schillernden Farben und Obertonmischungen viele Naturlaute und Vogelstimmen ins Spiel, benützt Leitmotive und kurz gestreifte Zitate. So lässt etwa Wagner mit seinem berühmten „Waldweben“ grüßen. Ihre Sänger stattet sie immer wieder mit geradezu melodiösem Material aus. Doch trotz ihrer scheinbaren Umgänglichkeit ist diese Musik sehr kompliziert in der Umsetzung. Unter Anleitung des jungen Kölner Dirigenten Robin Engelen gelingt den zehn Musikern des SOV hier eine wahre Meisterleistung an klangschöner, präziser, klug ausgeformter Wiedergabe, die sich am eindrücklichsten im Intermezzo zwischen den beiden Akten entfaltet.

Ensemble wird schonungslos gefordert

Desgleichen ist das von der Komponistin schonungslos geforderte Ensemble erste Klasse, allen voran mit der extremsten Partie, der „Vogel“ der attraktiven jungen österreichischen Sopranistin Romana Beutel, die ihre faszinierenden Vokalisen brillant über die Rampe bringt. Der in Bregenz bereits bekannte britische Bariton Adrian Clarke entwickelt in der Titelrolle Figur und Stimme vorzüglich zu beklemmende Dichte, die belgische Mezzosopranistin Lien Haegeman als seine Frau Berthe agiert nobel mit der nötigen Zurückhaltung. Der schottische Tenor Harry Nicoll gibt den smarten, hinterhältigen „Diabolus“ in drei Gestalten mit der nötigen Schwärze und in stimmlich energetischen Höhenflügen. Die stumme Rolle der jungen Berthe und des Hundes wird von Aline Cornelissen, einem Mädchen, verkörpert.

In den nächsten Jahren wird diese Produktion auch in Belgien und Norwegen zu sehen sein. Die leider einzige Möglichkeit, den „blonden Eckbert“ noch bei den Bregenzer Festspielen zu erleben, bietet sich am Dienstag, 9. August, 19.30 Uhr, im Theater am Kornmarkt. Rasch Karten besorgen!