Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Peter Ionian · 29. Apr 2015 · Musik

Die Botschafter kubanischer Musik und Lebensfreude auf Abschiedstournee - Das Orquesta Buena Vista Social Club

Havanna, Kuba. Eine Stadt der Gegensätze in einem Land voller Sinnlichkeit, Leidenschaft und Stolz. Ein Ort, der abgeschnitten scheint, von der lauten und durchorganisierten Welt, in der die meisten von uns leben. Dieses Land ist voller atemberaubend spannender Musik und hat wie kein anderes Land Musiker von Weltformat hervorgebracht. Die von Wim Wenders bewunderte, musikalisch ausgedrückte Lebensfreude Kubas, besuchte als Orquesta Buena Vista Social Club am Dienstag, 28. April Vorarlberg für ein Konzert auf der Bregenzer Werkstattbühne im Zuge des Seelax Festivals.

Das Phänomen Buena Vista Social Club


Die vorrevolutionäre Musik im Kuba der 40er und 50er-Jahre vereinte die Künstler des Landes in den Social Clubs der Stadtteile Havannas. Sie erlebte eine Hochblüte in ihrer musikalischen Reife und ihrem internationalen Einfluss. Doch das änderte sich mit der Machtübernahme Fidel Castros. „Als Spiegelbild der Hoffnungen, Enttäuschungen und Verfehlungen der kubanischen Revolution“ bezeichnet Christof Spörk in „Die Revolution im Spiegel der Musik“ die Entwicklung der kubanischen Musik. Und den Boom rund um den Buena Vista Social Club versteht er als Rückkehr zu vorrevolutionären Idealen kubanischer Musik. Dabei betraf dieser Boom vor allem die Industriestaaten Europas und Nordamerikas. Denn in Kuba waren die Lieder des Buena Vista Social Club größtenteils ohnehin bekannte Volkslieder. Die Produzenten taten 1996 nichts anderes, als Altmeister kubanischer Musik, die den Zenit ihres künstlerischen Schaffens in den 40ern und 50ern hatten, zu vereinen und eine CD einspielen zu lassen. Was dann folgte, war der Siegeszug des erfolgreichsten „World Music“-Albums, ein Dokumentarfilm von Wim Wenders und zahlreiche Konzerttourneen und Nachfolgeprojekte.

Die letzte Tour


Buena Vista Social Club ist eine Marke geworden. Das wurde in dieser Form nicht einmal von den Initiatoren erwartet. Die ökonomische Dimension dieser Marke ist nicht unbeachtlich. Auch nach dem Tod von drei der fünf am Ursprungsprojekt beteiligten kubanischen Solisten wurde die Marke weitergeführt. Nun kündigte das von Jesús Ramos geleitete Orquesta Buena Vista Social Club an, sich nach einer internationalen Abschiedstournee aufzulösen. 16 Jahre lang wurden ihre Konzerte rund um die Welt begeistert gefeiert. Nun sagen sie mit ihrer letzten Tour: „Adios“ und läuten das Ende eines musikalischen Phänomens ein.

Durchorganisiert und geregelt


Das hat auch hier in Vorarlberg sehr viele Musikinteressierte angesprochen. Die Parkplätze quollen über, eine lange Schlange Wartender bildete sich vor dem Eingang und über eine halbe Stunde vor Konzertbeginn, saßen bereits die meisten Gäste auf ihren Sitzen. Ein Getränk konnte man sich noch schnell im Foyer gönnen, der große Saal blieb trocken und heiß. Der Sitzplatzbereich war abgetrennt, wurde intensiv betreut und auch bei den Stehplätzen wurde großer Wert auf Regeln gelegt. Es war vorgeschrieben, Jacken und Mäntel an der Garderobe abzugeben. Aus feuerpolizeilichen Gründen war es verboten, Handtaschen am Boden abzustellen. Die Poltergruppe rund um eine Braut, wurde lauten Lachens bezichtigt. Einzelne, die von ihren Sitzen aufstanden und am Rand ein wenig Bewegung in die eigenen Hüften bringen wollten, wurden freundlich um Einhaltung der gegebenen Ordnung gebeten und durften sich wieder an ihren Platz begeben. Immerhin, Mitklatschen war erlaubt. Mitsingen auch, aber davor zierte sich das Publikum. Vielleicht deshalb, weil mit gemäßigtem Pegel beschallt wurde. In dieses sehr durchorganisierte Setup purzelte nun eine Band mit Weltmusikern, die sich als Botschafter der kubanischen Musik und Lebensfreude verstehen. Und sie gaben alles.

Grandioses Konzert


Gleich zu Beginn des Abschiedskonzerts wurde ein emotionaler Moment geschaffen. Begleitet von virtuosen Piano-Klängen des jungen Musikers Rolando Luna, wurde ein eindrucksvolles Video in Erinnerung an den 2003 verstorbenen Pianisten Rubén Gonzáles auf die große Leinwand projiziert. Später folgten Videos der Altmeister Compay Segundo († 2003), Ibrahim Ferrer († 2005), Pío Leyva († 2006), Orlando „Cachao“ López († 2009) und Manuel Galbán († 2011). Gezeigt wurden Fotografien aus den guten alten Zeiten des Buena Vista Social Club. Visuell spannende Effekte, wie Unschärfen und faszinierende Übergänge machten diese Erinnerungsvideos äußerst wirkungsvoll. So wurde die Geschichte der verstorbenen Musiker, und somit auch die Geschichte der Band, sichtbar und spürbar gemacht. Melancholie und karibische Ausgelassenheit vermischten sich zu einem bewegenden Gefühl. Und den Hauptanteil dieses Gefühls schuf die herausragende Musik der 14-köpfigen Formation. Sie lässt sich nicht auf einzelne Hits reduzieren, sondern verkörpert einen Stil, eine Haltung. So kann man schon auch mal Klassiker neu interpretieren oder eigene Songs komplett verfremden. Ihre lateinamerikanischen Rhythmen rund um Chachacha, Mambo, Rumba, Bolero und Salsa zwangen regelrecht zur Bewegung. Congas, Bongos und Timbales gaben ihnen ihren Klang. Bis zu dreistimmige Trompetensätze schmiegten sich an den Takt, Papi Oviedo an der Tres und Barbarito Torres an der Laúd sorgten für speziell kubanische Akzente. Die Posaunensoli des Orchesterleiters Ramos und die Duette und Gesänge von Carlos Calunga und Idania Valdés setzten dem Wohlklang die Krone auf.

Unterschiede der Lebensfreude


Höhepunkt war unbestreitbar der Auftritt der 84-jährigen Sängerin Omara Portuondo. Besser gesagt die Auftritte. Sie wurde nicht müde, immer neue Versuche der Publikumsanimation zu starten. Denn auch hochbetagt sprühte sie noch voller Lebensfreude. Doch leider blieben sie und die Band damit alleine. Gelegentlich ist das Publikum kurz von den Sitzen aufgestanden, meist um besser sehen zu können, machmal aus Begeisterung. Aber man setzte sich schnell wieder. Sprechchöre verhallten unbeantwortet, selbst die Refrains der bekanntesten Songs wurden nicht mitgesungen. Das machte die Band dann doch etwas stutzig, dass sie auch bei Quizas Quizas, Chan Chan oder El Cuarto De Tula kaum eine Stimme aus dem Publikum hörten. Naja, es war Dienstagabend und wir sind in Vorarlberg. Die Musiker sind Mitte Mai in Südamerika auf Tour und bereits im Juni wieder zurück in Europa. Bei so vielen Konzerten in aller Herren Länder, kann man nur hoffen, sie meinten wirklich, dass sie hier in Alemania waren. Eine Zugabe gab es dann doch, das laute Stampfen im Saal wurde wohl richtig verstanden, denn nur einzelne erhoben die Stimme für ein „Otro!“.

Ende einer Ära


Vielleicht war es der Begriff „Orchester“ vor dem Buena Vista Social Club, der die Gäste dazu verleitete, in Festspiel-Abendgarderobe als zahlender Besucher vor allem passiv zu konsumieren. Denn leider konnte das Feuer, das auf der Bühne brannte, an diesem Abend nicht ungehindert auf alle im Publikum überspringen. So verabschiedeten sich die Botschafter der kubanischen Musik und Lebensfreude mit einem grandiosen Konzert und einer stimmungsvollen Rückschau eines kleinen Musikwunders. Und das Publikum staute sich nach Hause und zurück in die laute, durchorganisierte Welt.