Derzeit in den Vorarlberger Kinos: The Zone of Interest (Foto: Filmcoopi Zürich)
Peter Bader · 15. Apr 2012 · Musik

Ein Gesamtkunstwerk und eine Kunstfigur

Standing Ovations gab es am Freitagabend in der gut besuchten Kulturbühne Ambach für den bekannten Vorarlberger Musiker Marque.

In der seit April 2011 aufgelegten Konzertreihe „Carte Blanche“ der Kulturbühne in Götzis werden laut Pressetext Musiker aus Vorarlberg eingeladen, „ihre lang gehegten und am Herzen liegenden Ideen mit Freunden zu verwirklichen.“ Den Auftakt der diesjährigen „Carte Blanche“ machte am Freitagabend der bekannte Vorarlberger Musiker Marque. In einem zweiteiligen Konzert führte er im ersten Teil konzertante Auszüge aus seinem barocken Musiktheater „Nimmerland“ auf und verwandelte sich dann im zweiten Teil in seine Kunstfigur Geordie Gill.

Was man an diesem Freitagabend zu hören und zu sehen bekam, war mehr als nur eine bloße Kostprobe eines kreativen Geistes. Mehr als nur die Verwirklichung von „Ideen mit Freunden“. Es waren einerseits ein Gesamtkunstwerk und andererseits das durchdachte Konzept einer Kunstfigur.

Auftritt von Robert Schneider

„Nimmerland“, die Geschichte um Peter Pan, wurde mit Musik, Tanz, Visuals und das Geschehen interpunktierenden Lesungen Robert Schneiders umgesetzt. Dabei darf der Auftritt Robert Schneiders als kleine Sensation bewertet werden. Schneider sagte bekanntermaßen vor einigen Jahren nach einer Auseinandersetzung mit dem mittlerweile verstorbenen Kritiker Claudius Baumann, er werde in Vorarlberg nicht mehr auftreten. Aber die tiefe, langjährige Freundschaft mit Marque - Marcus Nigsch - und der schöne Anlass stimmten ihn um. Und so war schon der erste eigene Text - nach der Ouvertüre durch das kleine Orchester unter dem Dirigat von Martin Lindenthal - thematisch auf die Geschichte Peter Pans bezogen.

Schneider las professionell, leicht dialektal gefärbt, in der Mitte der durch Absenkung von der Hauptbühne abgegrenzten Vorbühne einen Prosatext über die Kindheit. Und: den „Terror des Erwachsenseins“. Tiefendimension bekamen seine Ausführungen durch die Projektion eines Baby-Gesichts auf die Leinwand im Hintergrund. Manche mögen diese Visualisierung als plakativ empfunden haben. Robert Schneider bekam im Laufe des Abends viel Applaus für seine stille Poesie und seine Vortragskunst, in der er manchmal pausierte, als ob er die Worte erst finden, den Text, der vor ihm lag, in diesem kostbaren Moment erst ersinnen müsse.

Barock und Moderne

Dass „Nimmerland“ in einer barocken Tonsprache komponiert ist, ist durch die Überlegung des Komponisten motiviert, dass für ihn der Manierismus der Melodie und der harmonische Reichtum dieser Epoche viel gemein haben mit der ausufernden Spielfreude eines Kindes. Und so hörte man an diesem Abend eine interessante Mischung aus barocken Klängen und modernen Hörgewohnheiten. Eine Musik, die gekonnt barocken Kompositionstechniken nachspürt und auf vokale Melodieführungen der heutigen Popmusik trifft. Geschrieben für ein Barockorchester, ausgeführt mit modernen Instrumenten - denn selbst das Cembalo war neuerer Provenienz -, kombiniert mit Stimmen, die man als Pop- oder Musical-Stimmen bezeichnen kann. Eine zum Teil historisierende Musik, anachronistisch, aber nicht billig oder plump gemacht, sondern voller farbiger harmonischer Wendungen, denn der studierte Komponist Marque versteht sein Handwerk.

Tänzerische Umsetzung

Das Cembalo und die akustische Gitarre waren in der vorderen Reihe akustisch leider schwer auszumachen, obwohl mit Heli Luger ein versierter Mann am Saal-Mischpult saß. Für das Bühnen-Monitoring war übrigens der bekannte Toningenieur Andi Fitz verantwortlich. Marque war in den Rollen des Peter Pan und Hook wie immer ein genau phrasierender Sänger in Hinsicht auf Intonation und Rhythmik; und: deutlich in der Artikulation. Die Songtexte (Libretto: Fritz Schindlecker) waren jederzeit gut zu verstehen. Weiters trat Marque als Moderator auf, der die Bilder erläuterte, sofern diese in den Songtexten und ihrer tänzerischen Umsetzung durch Gudrun Skamletz und Sébastien Ly nicht sowieso für sich selbst sprachen.

Weitere Rollen

Skamletz überzeugte hierbei nicht nur als zumeist rhythmisch sauber agierende Performerin, sondern zeichnete auch für die ästhetische und einleuchtende Choreographie verantwortlich. Ein Highlight war dabei sicher die - witzige - Kampfszene in Slow Motion mit ihrem Partner Ly während der Szene eines Piratenfestes.
Wendy wurde von der jungen Sängerin Susanne Jerkovits gegeben. Eine schöne und gut geführte Stimme. Als Mrs. und Mr. Darling traten Monika Ballwein und Paul Winter in Erscheinung. Ballwein sang ihre Rolle mit femininer Zurückhaltung, Winter durchlebte seinen Part förmlich: Das war auch an seiner lebendigen Mimik erkennbar.

Zweiter Teil als Geordie Gill

Nach der Pause betrat Marque als Geordie Gill die Bühne. Also als jene Kunstfigur, die von Frank Mätzler mitentwickelt und am 16. Juni 2011 in der Bregenzer Oberstadt erstmals live präsentiert worden war. Als Zeitreisender, Poet, englischer Gentleman aus dem 19. Jahrhundert. Im Gehrock, mit Spazierstock, Zylinder und moderner Sonnenbrille. Nicht nur die durchdachte Inszenierung mit Video-Projektionen Hans Jörg Kapellers (neben der Figur Gills wurden etwa auch Naturlandschaften als entschleunigte Gegenentwürfe zu unserer hektischen modernen Welt auf die Leinwand projiziert), sondern auch die Dramaturgie folgte dem Spannungsbogen, der am 28. Dezember 2011 im Dornbirner Spielboden erprobt worden war. So war der erste Titel -  sinnigerweise „Geordie Gill“ - auch der letzte des Sets. Jener Song aus Ralph Vaughan Williams Folk Song-Sammlung „Bushes and briars“, der Nigsch zu seiner Figur inspiriert hat.

Humorvolle Souveränität

Auch in der zweiten Hälfte des Abends zeigte sich Marque sehr disponiert. Ein Bühnenkünstler, der sich auch von einem kleinen Patzer, als er gegen Ende des Abends beim Song „The drowsy sleeper“ den Einsatz verpasste, nicht aus der Ruhe bringen ließ. Seine humorvolle Souveränität im Umgang mit einem Fehler, er rügte sich kurz im Helge-Schneider-Tonfall, wurde vom Publikum mit Extra-Beifall quittiert.

Aus sanft wurde rockig

Ein leidenschaftlicher Performer, der seiner Stimme zeitweilig auch einen „schwarzen“ Klang gab und gospelig sang. Eine gut klingende Stimme mit einer guten Range, auch nach oben, mit der der Künstler auch rocken kann. Etwa beim Song „Red running rue“. Jenem Song mit der wahrscheinlich eingängigsten Melodie der aktuellen CD „Untimely adventures“. Ein Ohrwurm, der zuerst in einer interaktiven Situation zwischen Martin Lindenthal am Flügel und Marque am Mikro als sanfte Klavierballade dargebracht wurde, der aber bald losmarschierte und live entschieden aggressiver und rockiger als auf der Studio-Aufnahme performt wurde. Eine Nummer, die immer dichter werdend, Drive entwickelte, ihre ganze bedrohliche Wirkung entfaltete, als die Geordie-Gill-Band einsetzte. Eine tighte Band, deren präzises rhythmisches Fundament Rolf Kersting am E-Bass und Jörg Mikula an den Drums bildeten. Komplettiert durch Roger Szedalik an der semiakustischen Gitarre, der in seinem langen Solo im „May Song“ losrocken durfte. Auch dieser Song: wuchtiger als auf der Studio-CD. Großes Drama, große Tragik evozierend.

Das Ensemble

Auch im Geordie-Gill-Set gab es eine Streicher- und Bläser-Besetzung. Im Streichquartett spielten Monica Tarcsay (Violine), Clemens Mairer (Violine), Martina Engel (Viola) und Christoph Unterberger (Cello). Im Bläser-Quartett brillierte u.a. der bekannte Vorarlberger Trompeter und Hornist Herbert Walser-Breuß. Auch diese Hälfte des Abends interpunktierte Robert Schneider mit seinen pointierten Texten.
Standing Ovations.
Eine Zugabe: „Red running rue“. Schon bei den aufpeitschenden Vierteln auf der Bassdrum begann das Publikum begeistert mitzuklatschen.