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Peter Bader · 07. Okt 2012 · Musik

Theo Bleckmann "Hello Earth!" - Ein interessanter Zugang zum Werk Kate Bushs

In recht privater Atmosphäre bewies Theo Bleckmann am Freitagabend in der Jazz&-Reihe im Spielboden Kunstfertigkeit in der Beschäftigung mit Kate Bush.

Kate Bushs Songs zu interpretieren ist ein Wagnis. Wird der britischen Pop-Exzentrikerin doch ein Stimmumfang von fünf Oktaven nachgesagt. Diesem Material muss man zuerst einmal etwas entgegensetzen können. Das kann kaum eine Sängerin oder ein Sänger auf diesem Planeten. Scheitern kann man als Vokalistin oder Vokalist auch am expressiven,  theatralischen oder auch exaltierten Gesangsstil der Engländerin und am unvergleichlichen Timbre. Kurz: Das übermenschliche Material und seine virtuose Beherrschung sind so sehr mit der Figur der einzigartigen Künstlerin verbunden, dass sich kaum jemand an Cover-Versionen der mittlerweile ins kollektive musikalische Gedächtnis der westlichen Welt eingegangenen Songs herangewagt hat. Theo Bleckmann, der seit 1989 in New York lebende sympathische deutsche Jazz-Vokalist, versucht sich in seinem aktuellen Programm „Hello Earth! The Music of Kate Bush“ in einem neuen Zugang zum Liedgut der Pop-Künstlerin und konnte am Freitagabend im mäßig besuchten Dornbirner Spielboden überzeugen.

Das Material und seine Beherrschung

Zu beobachten war in diesem sehr stimmigen, gut neunzigminütigen Set: Theo Bleckmann verfügt nicht über das spektakuläre Material einer Kate Bush. Das ist verständlich. Sein lyrischer Bariton ist schlank, fern von baritonaler Schwere. Mit der Bruststimme bewegt er sich - ausgenommen von wenigen Ausflügen in etwas tiefere Regionen - zumeist in der Mittellage. Höhere Töne werden mit dem Falsett realisiert. Falsett-Spitzentöne werden dabei ausgeklammert. Strahlkraft ist nicht seine Stärke, eine recht „glatte“ Stimme. Vibrato hört man an diesem Abend so gut wie keines. Zum Vergleich: Kate Bushs Stimme ist vibratoreich. Sehr vibratoreich. In Hinsicht auf dynamische Überlegungen scheint Bleckmann weiters sehr vorsichtig zu sein. Er führt keine kräftige Stimme vor. Megatöne - mit entsprechender Mikrofontechnik (Mikro weit vom Mund entfernt etc.) - sind nicht auszumachen. Das Mikrofon, das zumeist auf dem Ständer ruht, ist dicht vor dem Mund platziert. Etwas lautere, längere Töne bzw. ausgekostete Vokale unterlegt der Ästhet mit entsprechender Gestik. Erwähnt sei die Geste der Öffnung, wenn er die Arme langsam vom Körper weg, nach außen führt. Bleckmanns Gestik und Mimik sind nuanciert und geschmackvoll. Hier gibt es kein störendes Zuviel.

Bleckmann hat keine ausdrucksstarke oder gar markante Stimme: Keine große Stimme in Hinblick auf Volumen, Klang oder Wandlungsfähigkeit. So scheint es jedenfalls an diesem Abend. Sein Timbre ist aber schön. Und: Er versteht es, seine schöne Stimme mit viel Sinn für Ästhetik zu führen. Kultiviert. Rhythmisch präzise. Intonationssicher. Sein Phrasing ist tadellos. Seine Artikulation gut. Textdeutlichkeit ist dem Künstler, der in seiner kenntnisreichen Moderation immer wieder auf die außergewöhnlichen Inhalte der Songtexte hinweist und diese referiert, ganz offensichtlich ein wichtiges Anliegen. Gemäß dem Prinzip, dass ein gutes Lied eine Einheit aus Text und seiner musikalischen Ausdeutung sein soll.

Bleckmanns Stimme trägt. Der Anschein wird allerdings erweckt, dass all die elektronischen Effekte, die der Sänger live einsetzt, sein Organ künstlich vergrößern. Als Mikrofonsänger ist seine Stimme doch etwas hallgestützt. Womöglich tritt Bleckmanns natürliche Stimme durch den Einsatz der Effekt-Maschine etwas in den Hintergrund. So wäre es interessant, seine Stimme direkt zu hören. Ohne all die Technik. Im wahrsten Sinne des Wortes: unplugged.

Neu-Interpretationen und interessante Arrangements, keine vokalen (Jazz-) Improvisationen

Zu hören waren an diesem Abend Songs aus dem Frühwerk Bushs und Lieder neueren Datums. Darunter einige weltbekannte Hits, aber auch eher unbekannteres, neueres Material. Vieles davon balladesk; Uptempo-Nummern waren rar. Als studierter Jazz-Vokalist hätte Bleckmann die Song-Changes natürlich auch dazu nützen können, mit improvisierten virtuosen Lines über einen Chorus abzudrücken. Das gestattete er sich an diesem Abend nicht. Er legte nicht los. So wurden die Songs weiters auch nicht in ein explizites Jazz-Gewand gehüllt, sondern blieben als Pop-Songs erhalten. Wer ein Freund von (Bushs) aufreizender Theatralik ist, war mit Bleckmanns Ansatz wahrscheinlich nicht zufrieden, denn Bleckmann nahm den Songs das Spektakuläre. Hier ein paar Schlaglichter:

Schon im Opener „Running up that hill“ (1985) wurde Bleckmanns Konzept und Herangehensweise an das Oeuvre Bushs erkennbar. Seine Neu-Interpretation dieses Pop-Klassikers war zunächst von einer ruhigen Atmosphäre getragen, eine gewisse Transparenz im Arrangement war deutlich. Vom ersten Moment an wurden elektronische Effekte in den Gesang eingeschleift; Der bekannte, treibende Groove - der im Original den Song einleitet - setzte in Bleckmanns Interpretation spät ein und: doch etwas entschärft.

In „Wuthering heights“ (1978) sang Bleckmann die Phrase „Wuthering heights“ zeitlich versetzt live mehrfach ein, um eine klangliche Textur zu gewinnen, die als Loop nicht nur Mehrstimmigkeit bot, sondern durch die zeitliche Versetzung der Phrase auch ein interessantes rhythmisches Pattern. Der Schönheit und zwingenden Intensität des Original-Arrangements (dort etwa durch die  bestechenden Hooklines) wurde Bleckmanns Ansatz vielleicht nicht ganz gerecht.

„Cloud busting“, Bushs Hit aus dem Jahr 1985 (das Video ist unvergesslich, auch durch die Mitwirkung des großen Donald Sutherland), rockte, nicht zuletzt durch den Quasi-Marsch-Rhythmus auf der Snare Drum. Mit „Hello Earth“ (1985) performte Bleckmann jenen Song, der seiner aktuellen CD und der Tour den Titel gab. Der Song „Bertie“ war neueren Datums. Er stammt vom Album „Aerial“ aus dem Jahr 2005.

Eine tighte Band

Mit Laila Biali (Seiler-Flügel, Nord Electro 3-Keyboard, Gesang), Caleb Burhans (E-Violine, Gitarre, Gesang), Skuli Sverrisson (E-Bass) und Ben Wittman (Schlagzeug, Perkussion) versammelte Bleckmann eine Band um sich, die imstande war, präzise zu musizieren und seine Arrangements überzeugend live auf der Bühne umzusetzen. Die MusikerInnen waren verlässlich in ihrer Funktion als BegleiterInnen und hatten auch Gelegenheit, sich als SolistInnen zu präsentieren. Laila Biali konnte zum Beispiel in einem Jazz-Piano-Solo flinke Fingerfertigkeit vorführen. - Dies im Übergang von „Hello Earth“ zu „The Saxophone Song“ (1978). Die Nummer „Violin“ (1982) war ein Feature für Caleb Burhans als E-Violinisten.

Zugaben

Die Band wurde zweimal zurück auf die Bühne geklatscht. Liebe zum cleveren Detail zeigte Bleckmann in „Breathing“ (1980). Das Wort „out“ (aus der  im Original repetierten Wendung „in - out“ war der Schluss des Songs. Mit „Wow“ (1978) verabschiedete sich die Formation endgültig von ihrem begeisterten Publikum.

Die aktuelle CD zur Tour „Hello Earth“ war an diesem Abend leider schon ausverkauft. Verständlich.