"Rickerl – Musik is höchstens a Hobby" derzeit in den Vorarlberger Kinos (Foto: 2010 Entertainment / Giganten Film)
Thorsten Bayer · 17. Nov 2012 · Musik

Ein schweißtreibender und stilsicherer Auftritt: Seeed in der bigBOX Kempten

Sieben Jahre war es ruhig um das Dancehall-Kollektiv von Seeed. Die drei Sänger widmeten sich Soloprojekten; allen voran Peter Fox, dem 2008 mit seinem Album „Stadtaffe“ künstlerische und kommerzielle Erfolge in Serie gelangen. Nun sind sie als Band wieder zurück und haben in Kempten das zweite Konzert ihrer Tournee gespielt. Dabei hatten sie das Publikum vom ersten Augenblick im Griff. Besser gesagt: vom ersten „Augenbling“. Denn mit diesem Song, ihrer neuesten Auskopplung vom schlicht „Seeed“ betitelten Album, eröffneten die Berliner einen ausgelassenen Abend in der ausverkauften bigBOX.

„Wir sind eigentlich gerade erst in Berlin aufgestanden und losgefahren“, erzählt Peter Fox nach den ersten zwei, drei Songs und spielt damit darauf an, dass die große Tournee gerade erst begonnen hat. Von Startproblemen ist jedoch nichts zu sehen und noch weniger zu hören: Die dreizehn Musiker legen los, als hätte es die lange Bandpause nie gegeben. Die Bläser-Sektion ist mit Trompete, Posaune und zwei Saxophonen mittlerweile zu viert. Der dadurch entstehende Sound einer Bigband zieht sich auch durch das neue Album, das Ende September erschienen ist. Neben einigen etwas süßlich-poppigen Nummern wie „You and I“ oder „Beautiful“, der zweiten Auskopplung, zeigen die Berliner bei treibenden Nummern wie „Molotov“ ihre ganze Klasse als Experten für Beats, die in die Beine gehen.

Eleganz und Lässigkeit

Die Texte sind bei Seeed viel mehr als bloßes Material zum Mitgrölen. Angenehmerweise nehmen sie sich immer wieder selbst und den Berlin-Hype auf die Schippe, beispielsweise in „Seeeds Haus“: „Bitte gehn sie ausm Weg / Ich hab nen dringenden Termin / Komm im weißen Hermelin / Bin Bürgermeister von Berlin.“ Diese Stilsicherheit beweisen die Künstler auch modisch. Mit großer Lässig- und Selbstverständlichkeit tragen sie auf der Bühne Anzüge; Sänger „Boundzound“ alias Demba Nabé erscheint in schwarzer Weste, sein Kollege (Frank A.) Dellé mit Hut. Peter Fox alias Pierre Baigorry legt sein dunkelblau gestreiftes Jackett den ganzen Abend nicht ab, ebenso wenig Krawatte oder das weiße Tuch in seiner Hand. Anders als ein Luciano Pavarotti aber verwendet er letzteres nicht zum Schweiß-Abtupfen, sondern zum Anfeuern des Publikums.

Die gute Luft im Allgäu

Seeed sind Vollblutmusiker und Vollprofis – so streuen sie ihren Gastgebern auch artig Rosen, wenn sie die gute Allgäuer Luft und die ebensolche Milch loben, die beide viel besser als in ihrer Heimat seien. Auch die Musik-Anlage in der bigBOX schlage diejenige in Nürnberg, wo sie am Vorabend spielten, um Längen. So weit, so gut, so normal. Doch Wortführer Peter Fox nimmt man diese (vermeintlichen) Standards ab. Denn er spielt und spult mit seinen zwölf Bandkollegen alles andere als ein Programm im Autopilot-Modus ab.

Auftakt mit Theophilus London

Das sah beim Support Act des Abends noch ganz anders aus. Theophilus London, der im Sommer beim poolbar-Festival in Feldkirch zu Gast war, bewegte sich bei seinem Auftritt nah an der Grenze zur Persiflage. So viele „Make some noise“- und „Put your hands in the air”-Rufe bekommt wahrscheinlich mancher Hip-Hopper in einem kompletten Konzert von anderthalb Stunden Länge kaum unter. Theophilus London reichen dafür 30 Minuten. Und leider ist, außer diesen wenig originellen Sprüchen, auch nicht viel gewesen. Von seinen musikalischen Qualitäten, die der New Yorker zweifelsohne hat, ist an diesem Abend nicht viel zu hören. Neben satten Bässen scheint vor allem Testosteron aus den Lautsprechern zu tropfen – London und seine Crew gefallen sich offensichtlich als Voll-Machos. Leider nur ohne die feine Ironie, mit der Seeed ihre Rolle interpretieren.

Spiel- und experimentierfreudig

Die Berliner spielen sich quer durch ihr Repertoire von vier Studioalben, die sie seit ihrer Gründung 1998 veröffentlicht haben. Die größte Stimmung kommt eher bei alten Hits wie „Music Monks“ oder „Ding“ auf. Bemerkenswert ist, dass sie Solo-Hits von Peter Fox in ihrem abwechslungsreichen Programm haben: neben „Alles Neu“ und „Schwarz Zu Blau“ auch „Schüttel Deinen Speck“, das als letzte Zugabe erklingt. Einige Male experimentieren sie mit dem alten Material und setzen andere musikalische Akzente. So geht etwa „Dickes B“ in eine schwebende Dancefloor-Version über. Die spürbare Spielfreude auf der Bühne überträgt sich direkt auf den Zuschauerraum, den nach diesem schweißtreibenden Abend kaum einer mit trockenem T-Shirt verlassen haben dürfte.

 

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