Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Fritz Jurmann · 12. Nov 2012 · Musik

Festival „Forum Zeitklänge“ Feldkirch: Auf der Suche nach der eigenen Identität das Publikum im Stich gelassen

Fast wär’s ein Faschingsscherz geworden. Am 11.11. um 11 Uhr, also knapp vor dem ominösen Datum des offiziellen Faschingsbeginns um 11.11 Uhr, startete in der Kapelle des Landeskonservatoriums Feldkirch die Abschlussmatinee des diesjährigen „Forum Zeitklänge“ mit dem renommierten Wiener Concert Verein. Dabei gab das am Wochenende durchgeführte dreitägige Festival ohnedies keinerlei Anlass für Heiterkeit. Ganz im Gegenteil.

Die Reihe hat auch fünf Jahre nach ihrer ersten Umstrukturierung die eigene Identität ebenso wenig gefunden wie ein wirklich interessiertes Publikum. Auch die Rechnung, heuer durch erstmals im Konservatorium parallel zur „ArtDesign“ veranstaltete Konzerte den Publikumszuspruch zu steigern, ist nicht aufgegangen, die Reihen blieben beschämend leer. „Man hat uns seitens der ‚ArtDesign‘ boykottiert“, rechtfertigt sich Festivalmacher Alfred Huber, Kemptener Neurochirurg und Komponist. „Wir durften nicht einmal am Eingang unsere Flyer verteilen.“

„Nicht geschafft, eine Marke zu werden“

Tatsache ist, dass das Budget mit Subventionen von Stadt und Land, auch aus Hubers eigener Tasche, gerade einmal für die Gagen der Musiker reichte, Werbemaßnahmen blieben ebenso aus wie letztlich die Besucher. Mehr als 15 bis 20 waren es bei keinem der ersten vier Termine, weniger als 50 beim Abschluss. „Wir haben es im Laufe der letzten Jahre nicht geschafft, eine Marke zu werden“, gesteht Huber ein, „zu viel hat sich bei uns immer wieder verändert.“

Dagegen sieht er sein Konzept, Klassik unmittelbar gegen Neues zu stellen, also das Lockmittel Mozart gegen Schnittke, den eleganten Debussy gegen den strengen Kagel, heuer durch das Publikumsvotum in einer Art „Wunschkonzert“ bestätigt. Das ist freilich bloß eine Verwässerung längst notwendiger klarer Strukturen und letztlich eine glatte Bankrotterklärung, die einer Zeitung gleichkommt, die ihre Spalten nur mit Leserbriefen füllt.

Lieblos zusammengeschustertes Nichts

Dazu kam diesmal das Fehlen jeglicher didaktischen Hinführung, mit der man die wenigen Besucher über das Programm hätte informieren sollen – gerade das wäre doch die zentrale Aufgabe eines Festivals! Ich habe in meiner langjährigen Tätigkeit als Musikjournalist kaum einmal ein Konzert erlebt, bei dem man die Zuhörer so wie hier ohne jede Information über Konzept und Programm einfach im Stich gelassen hat. Die notwendigen Einführungen, wie sie früher Anselm Hartmann so vorbildlich betreute, bevor man sich trennte, sind einer gähnenden Leere gewichen.

Der dürftige Flyer für alle Konzerte zusammen weist im Konzertprogramm lediglich die Namen der Komponisten (ohne Lebensdaten), die Werke (ohne Satzbezeichnungen) und das Orchester mit Dirigenten, aber ohne Solisten aus. Keinerlei Werkeinführungen, auch nicht verbal, keine Biografien der Musiker, ein lieblos zusammengeschustertes Nichts. Und nicht einmal eine Programmumstellung wird angesagt.

Routiniert-gepflegte Art des Musizierens

Ungeachtet dessen bietet der Wiener Concert Verein, das aus vielen „KaZ“-Konzerten der Bregenzer Festspiele bei uns geschätzte Kammerorchester der Wiener Symphoniker, am Sonntag eine hervorragende Matinee in der Kapelle. Die routiniert-gepflegte Art, mit der hier musiziert wird, bleibt als Lichtblick in dieser Festival-Tristesse haften. Unter dem sehr jungen, sehr engagierten Christoph Campestrini wird mit Brittens „Simple Symphony“ in 15-köpfiger Streicherbesetzung zum Aufwärmen ein rückwärtsgewandter Klassiker der Moderne gespielt.

Mitreißend dann zwei Sätze aus den „Pyrrichean Dances“ des Griechen Christos Hatzis, die dieser 2001 unter dem Eindruck von „Nine eleven“ komponiert hat. „Love among the Ruins“ schildert in aufgerauten Klängen den Schrecken dieser Tage, stark rhythmisch zur Sache geht es bei „World in Collision“. Eindrucksvoll Werner Frank mit seiner fahl versonnenen Viola, Thomas Schindl virtuos an Marimba, Schlagzeug-Batterie und einer nervigen „Singenden Säge“ als Relikt aus einer längst entschwundenen Epoche. Die wenigen Besucher zeigen sich allein von den Leistungen der Musiker begeistert, obwohl sie den Hintergrund des Stückes gar nicht kennen.

Schuberts Streichquartett „Der Tod und das Mädchen“ in Orchesterversion entfaltet sich zwar im großen Hall der fast leeren Kapelle klanglich opulent, dennoch bleibt das auf Moderne spezialisierte Ensemble hier manches schuldig: Zu unsauber geraten oft die hohen Lagen der vier ersten Violinen, zu behäbig kommt das Scherzo daher, zu vorsichtig das Presto-Finale.

Traditionsreichstes Festival für Neue Musik

Das „Forum Zeitklänge“ ist vor fünf Jahren entstanden, in unmittelbarer Nachfolge des 1973 vom Musikkreis Feldkirch gegründeten „Forum Feldkirch“. Dieses wiederum geht auf den Urvater aller Neuen Musik in Vorarlberg zurück, den Feldkircher Komponisten Ferdinand Andergassen (1892 – 1964). Mit solcher Unprofessionalität wie an diesem Wochenende erlebt, wird also das traditionsreichste Festival für Neue Musik im Land systematisch an die Wand gefahren. Und es würde wohl kaum jemandem leidtun, wenn es nach diesem Tiefpunkt das „Forum Zeitklänge“ im nächsten Jahr nicht mehr gäbe.