Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Fritz Jurmann · 30. Jul 2013 · Musik

Festspielchor am See ausgebootet, ungeliebter Dirigent ans Pult der Symphoniker gehievt - Keine optimalen Voraussetzungen für das zweite Orchesterkonzert der Bregenzer Festspiele

Das 2. Orchesterkonzert der Wiener Symphoniker bei den diesjährigen Festspielen am Montagabend im voll besetzten Festspielhaus stellte in einem Kontrastprogramm eine sperrige Symphonie von Mieczyslaw Weinberg der berühmten „Neunten“ von Beethoven gegenüber. Man wollte damit einerseits auf den Erfolg von 2010 mit der Oper „Die Passagierin“ zurückblenden, andererseits mit einem Solitär des klassischen Repertoires auch die Traditionspflege unterstreichen. Doch der Abend stand nicht unbedingt unter einem guten Stern, war im Vorfeld und Hintergrund von zwei außermusikalischen Konfliktpotenzialen mitbestimmt, die sich auch auf den musikalischen Gesamteindruck niedergeschlagen haben.

„Zauberflöte“ am See ohne Festspielchor


Da ist einmal die Sache mit dem Festspielchor. Groß war die Aufregung, als im Herbst bei der Detailplanung des Festspielprogramms für 2013 klar wurde, dass man erstmals in der Geschichte des Festivals auf die Mitwirkung des Bregenzer Festspielchores beim Spiel auf dem See verzichten würde. Zum einen biete Mozarts „Zauberflöte“ nur wenige Choreinlagen, zum anderen wäre der Platz auf der treppenreichen Schildkrötenbühne nicht besonders für den Auftritt eines großen Chores geeignet. So singt nun der Prager Philharmonische Chor quasi aus dem Off im Orchestergraben des Festspielhauses.

Die Nachricht kam für die heimischen Sänger umso überraschenden, als sich der  Festspielchor, der erstmals 1948 bei der „Nacht in Venedig“ und dann jährlich bei den Seeaufführungen in Erscheinung trat, in den letzten Jahren unter Benjamin Lacks Leitung stark verjüngt und qualitativ enorm verbessert hatte und auch bei den jährlichen Opernproduktionen am Landestheater mitwirkte. So hat man schließlich, seitens der Festspiele als Äquivalent, dem Chor die Mitwirkung in Beethovens für die Sänger sehr schwieriger „Neunter“, beim 2. Orchesterkonzert angeboten, gemeinsam mit ihren Prager Kollegen.

Dirigent kommt durch die Hintertür ans Pult


Zum zweiten ist da die Sache mit dem Dirigenten. Der Leipziger Claus Peter Flor (60) steht am Pult. Er und die Wiener Symphoniker sind ein besonderes Gespann, denn es ist bekannt, dass er nicht unbedingt zu den Lieblingen der Musiker zählt. Nach einer missglückten gemeinsamen Japantournee vor ein paar Jahren haben sich die Musiker damals demokratisch gegen eine weitere Zusammenarbeit mit Flor ausgesprochen. Doch ein Vertrag der Festspiele bevollmächtigt den Intendanten David Pountney, selbständig Programme und Dirigenten der Orchesterkonzerte zu bestimmen. Auf diese Weise ist Claus Peter Flor nun quasi durch die Hintertür erneut ans Pult der Symphoniker gekommen.

Ob eine solche Zwangsbeglückung zu einem auch künstlerisch befriedigenden Ergebnis führen kann, darf zumindest angezweifelt werden. Doch die Symphoniker sind Profis genug, um auch mit einer solchen Situation fertig zu werden und das vorgegebene Programm im gegenseitigen Einvernehmen zu einem positiven Ende zu bringen. Und so war es denn auch, wenn freilich aufgrund dieser Umstände doch der letzte Feinschliff, die kaum merklichen Zwischentöne fehlten.

Anstrengende Weinberg-Symphonie


Im Gegensatz zu seiner 1968 vollendeten, in einem süffig illustrativen Stil gehaltenen Oper „Die Passagierin“ hat Weinberg in seiner an diesem Abend aufgeführten sperrigen Symphonie Nr. 5 in f-Moll von 1960 in geschärfter Tonsprache, mit wilden Klangballungen und schroffen Kontrasten ein schwer zugängliches Werk voller Brüche und Abgründe geschaffen. Es schildert die Welt des KZ und findet erst ab der Mitte der vier Sätze zu einer gewissen inneren Freiheit und Ruhe mit Stellen von berückender Schönheit. Das Publikum verkraftet das 45-minütige anstrengende Werk nur mit Mühe, es ist deutlich unruhig im Saal, der Applaus danach hält sich in Grenzen. Unter der oft stereotypen, weit ausholenden und wenig inspirierenden Zeichengebung Flors kommt die Symphonie Weinbergs zu einer immerhin konzentrierten und letztlich auch nicht unspannenden Wiedergabe.

Dies allein genügt dann allerdings bei Beethoven nicht mehr. Seine Symphonie Nr. 9 in d-Moll spielen die Symphoniker quasi im Schlaf, steht sie doch jährlich zumindest einmal beim traditionellen Wiener Silvesterkonzert auf ihrem Programm. Da muss also vom Dirigenten mehr kommen als bloßes Präzisionsbemühen – das Vermitteln der humanitären Botschaft dieses Werkes etwa, die jener in Mozarts „Zauberflöte“ so ähnlich ist. Doch solche Eingebungen bleiben bei Flors fehlendem Charisma in Ansätzen stecken, auch die Balance zwischen Soli, Chor und Orchester hat er nicht immer im Griff – und das bei einem solchen „Selbstläufer“, bei dem man eigentlich schwer etwas falsch machen kann. Flor bleibt im routinierten Handwerk des Taktstocks stecken, ist viel zu detailverliebt und lässt dabei oft den großen Bogen, den Geist des Werkes außer Acht.

1980 dirigierte hier Karl Böhm die „Neunte“


Mit Wehmut denken alle, die das noch erleben durften, in solchen Momenten an die unnachahmliche, spirituell durchdrungene Weise, in der 1980 zur Eröffnung dieses Hauses der damals 86-jährige Karl Böhm kurz vor seinem Tod von einem Barhocker aus dieses Werk dirigiert hat. Und erkennt daran auch, wie sehr sich die Festspiele bei der Verpflichtung ihrer Dirigenten für die Orchesterkonzerte in den letzten Jahrzehnten gewandelt haben – nicht eben zu ihrem Vorteil.

Es ist einer imposanten Gemeinschaftsleistung aller Beteiligten und einem Kraftakt in einem viel zu langen Programm zu danken, dass der „Götterfunke“ dieses Werkes nach Schillers Worten letztlich doch noch übergesprungen ist, wenn auch mit Verzögerung und deutlich reduziert. Neben dem Orchester, diesmal unter dem exzellenten jungen russischen Konzertmeister Anton Sorokow, sind das vor allem die Vokalisten. Das Solistenquartett verströmt angenehm innigen Wohllaut, trotz der ganz knappen Verpflichtung der Sopranistin Ruth Ziesack als Einspringerin für die ebenfalls erkrankte erste Einspringerin. An ihrer Seite die aparte Altistin Katrin Wundsam, Tenor Rainer Trost als stimmlich etwas blasser, offenbar noch nicht ganz wiedergenesener Tamino vom See und der Bayreuth-gestählte Eike Wilm Schulte, dessen machtvolle Einleitung „O Freunde, nicht diese Töne!“ man noch lange im Ohr hat, auch wenn bei den Koloraturen nicht jeder Ton genau getroffen wird.

60-köpfiger Chor im extremen Höheneinsatz


Der Bregenzer Festspielchor bildet also mit den Profis des Prager Philharmonischen Chores ein 60-köpfiges Vokalensemble, respektheischend in seiner Strahlkraft, die spielend das Orchester übertönt. Von Benjamin Lack, bzw. Lukás Vasilek sind alle nach ihren Möglichkeiten auf diese Aufgabe hin gebrieft worden und mit großem Einsatz bei der Sache. Die extremen Höhenanforderungen des bereits tauben Beethovens an die Soprane bis hinauf ins hohe c führen in den Fortestellen allerdings zu einer Dominanz dieser Stimmen und damit zu einem Ungleichgewicht innerhalb des Chores.

Hier ist auch der Jubel des Publikums groß und einhellig, dieser gilt neben allen Mitwirkenden sicher auch dem Genius Ludwig van Beethovens.

 

Drittes Orchesterkonzert der Wiener Symphoniker bei den Bregenzer Festspielen:

Montag, 5. August, 19.30 Uhr, Festspielhaus – Allan Clayton, Tenor, Sir Mark Elder, Dirigent

Schreker: Kammersymphonie; Britten: „Our Hunting Fathers“, Dvorak: Symphonie Nr. 8 G-Dur