Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Fritz Jurmann · 01. Aug 2014 · Musik

Hintersinnige Schweinerei: HK Grubers Satire-Oper „Gloria von Jaxtberg“ ist eine bunte, freche, grelle Revue – und dabei ganz schön crazy

Begeisterte Zustimmung im vollbesetzten Haus am Kornmarkt ausgelöst hat am Donnerstag bei den Bregenzer Festspielen ein früheres Werk des heurigen „Composers in Residence“. Mit seiner Satire-Oper „Gloria von Jaxtberg“ wollte man eine weitere Fassette im Schaffen des so flexiblen Wiener Multitalents HK „Nali“ Gruber zeigen. Das Stück um das Schicksal eines blondgelockten Schweins offenbart hinter seiner äußeren Fassade von typisch britischem Humor auch menschliche Schwächen, gesellschaftskritische und politische Anspielungen, bei denen manchem wohl das Lachen im Hals stecken bleibt.

Ein Bilderbuch als Grundlage


Die Entstehungsgeschichte dieses Stückes von HK Gruber ist ähnlich der seiner vorige Woche in Bregenz mit großem Erfolg uraufgeführten „Geschichten aus dem Wiener Wald“ nach dem Schauspiel von Ödön von Horváth. Die Satire-Oper basiert auf dem Bilderbuch „Gloria von Jaxtberg oder die Prinzessin vom Pfandlhof“ von Rudolf Herfurtner, von dem auch das deutschsprachige Libretto des Stückes stammt. „Gloria“ wurde zunächst als Schauspiel zur Bühnenfigur und dann in der auch diese Aufführung zugrunde liegenden englischen Version von Amanda Holden 1994 von HK Gruber für das Festival zeitgenössischer Musik im englischen Huddersfield vertont: „Gloria – A Pigtale“ als Wortspiel aus „tale“ für Erzählung sowie dem „pigtail“, dem Ringelschwänzchen des Schweins.

Das ist auch gut so. Denn man kann sich den speziellen Humor dieses Stückes an der Nahtstelle zwischen Kabarett und Oper zur vollen Entfaltung seiner Wirksamkeit eigentlich nur auf Englisch und niemals auf Deutsch vorstellen. Da geht es hoch her in diesen pausenlosen 70 Minuten, ganz schön turbulent und frech und auch ein bisschen crazy, in einer grellen, revueartigen Abfolge kurzer Szenen rund um Gloria, dem aus eigener Sicht außergewöhnlich schönen, allerdings auch leicht dümmlichen und selbstverliebten Schwein mit seinen goldenen Locken.

Schönheit löst Neid aus


Doch wo so viel Schönheit ist, ist auch viel Neid. Und darum passt Gloria mit ihrer Andersartigkeit so gar nicht in ihre Sippe der „deutschen, weißen Edelschweine“, die gerade und kurze Borsten haben, wie es sich gehört. Es kommt zur Rassendiskriminierung, Gloria wird aus dem Saustall geworfen und macht sich auf die Suche nach neuer Gesellschaft – und nach ihrem Traumprinzen. Sie verliebt sich in ihren Metzger, wird erst im letzten Moment vom couragierten Rodrigo gerettet und gründet mit diesem eine Familie, deren Idyll im letzten Bild freilich auch nicht der Weisheit letzter Schluss zu sein scheint. Wie im Finale der „Geschichten aus dem Wiener Wald“ steht als Parallele auch hier manches auf brüchigem Terrain, bleiben auch da viele Fragen zur Zukunft offen.

Das ist eine Vorlage, aus der sich mit viel Fantasie und übersprühenden Einfällen schon etwas Bühnentaugliches machen lässt. Der junge britische Regisseur Frederic Wake-Walker hat diese Chance genützt und legt eine tempogeladene Version vor, die im Graubereich irgendwo zwischen der Muppet-Show, Mr. Bean und Monty Python angesiedelt ist und von Wortwitz, überraschenden Slapstick-Elementen, schlitzohrig schwarzem Humor und Anspielungen auf herrschende Zustände nur so strotzt.

Da ist etwa das Rund eines Varietés mit einem transparenten Vorhang aus lauter Wurst-Schnüren nach hinten abgegrenzt (Ausstattung Mamoro Iriguchi), da ist das Dirigentenpult mit „Frank-Furtwängler“ beschriftet, da wird in einem Bühnenteil für „Mehr Mut für Wiener Würstl“ geworben, die Rechtsaußen-Politik bekommt mit der Bezeichnung „Freischweinliche Partei Österreichs“ ihr Fett ab. Ein Seitenhieb auf die Kirche darf auch nicht fehlen, sogar Song-Contest-Siegerin Conchita Wurst wird als Gag-Lieferantin bemüht und die Moral von der Geschicht‘ heißt schlicht „Das Gegenteil von Liebe ist Wurst“ – oder umgekehrt.

Fünf Ausnahmetypen brillieren multifunktional


Das Stück wird getragen von fünf Ausnahmetypen, die als Schauspieler, Sänger, Tänzer, Comedians und vor allem als Verwandlungskünstler brillieren. Jede und jeder von ihnen schlüpft behände in die verschiedenen Rollen dieses Spiels. Das sind, in ihren Grundfunktionen, die umwerfende Gillian Keith, Sopran, als Monroe-artiges Schwein Gloria, die spielfreudige Jessica Walker, Mezzo, als Soloschwein, der mit seinem unbewegten bleichen Gesichtsausdruck an Buster Keaton erinnernde, fantastische Tenor Andrew Dickinson (der auch Glorias Traumprinzen geben darf), Charles Rice als baritonaler Bauer und schließlich Sion Goronwy als haariger, mit seinem wuchtigen Bass dreinfahrender Befreier Rodrigo.

Im Verlaufe des Abends bleibt nur Gloria stets Gloria, die übrigen Vier werden aus anfänglichen Schweinen (die Männer in einer Art knallrosa Ganzkörper-Kondomen mit neckischen Tutus) etwa zu einem Chor von quakenden Hand-Fröschen, die sich mit der Zeit als Boxhandschuhe entpuppen. Sie treten aber auch als überdimensionierte Hot Dogs (mit viel Senf!) auf, als klerikale Gemeinschaft samt Bischof, als Cabaret-Stars mit großen Fächern aus Straußenfedern und schließlich als skurrile Familie im Bilderrahmen. Das vermittelt eine Fülle stets neuer Eindrücke und Lacher, die man in dieser Fülle und Intensität auf Anhieb oft nur schwer verarbeiten kann.

„Nali“ ist in seinem Element


Denn da ist ja schließlich auch noch „Nalis“ Musik, bei der er sich auch in diesem Genre als absolut kompetent erweist. Eigentlich hat Gruber ja stets betont, er wolle nicht als Clown der zeitgenössischen Musik abgestempelt, sondern mit seinen Kompositionen ernst genommen werden. Hier aber ist er, immerhin schon vor zwei Jahrzehnten, in seinem ureigensten Element angelangt, zeigt, dass er es mit der  ganz ursprünglichen originellen und humorigen Seite seiner Künstlerpersönlichkeit faustdick hinter den Ohren hat und vergisst auch hier nicht, die Solisten auf der Bühne mit schwer singbaren, aber dennoch eingängigen Melodien in packenden Ensembles wie Solodarbietungen ordentlich zu fordern.

Auch das neunköpfige Instrumentalensemble Chroma, das hoch über dem Bühnenrund wie eine Band aus einer alten TV-Show mit Peter Frankenfeld thront, kommt damit wunderbar zurecht, durchaus mit Ernsthaftigkeit angeleitet von Dirigent Geoffrey Paterson. Das klingt dann in einer manchmal abenteuerlichen, aber genial konzipierten Mischung unter dem Überbegriff zeitgenössische Kammermusik ebenso nach Dixieland, Ragtime, Blues und Blasmusik, von jedem etwas. Und für Kenner lustvoll versteckt angereichert mit Wagner- und Mahler-Zitaten.

Angekündigt war diese Koproduktion der Festspiele mit Mahagony Opera Group, London, und dem Baxton Festival als „In englischer Sprache mit deutschen Erklärungen“. Dies erweist sich als weiterer Gag, wenn anstelle von Übertiteln jeder der Akteure aus einem dicken Buch ein Stück der Handlung in gebrochenem Deutsch erläutert und dabei wie ein Nummerngirl auch große, handbeschriebene Tafeln wie im Wiener Beisl „umblättert“. Das Publikum kommt, wie sich an den Reaktionen zeigt, allerdings locker auch ohne solche Hilfsmittel mit dem englischen Wortwitz zurande. Und ist überhaupt am Ende hingerissen von Stück, Musik und Umsetzung und feiert das Ensemble, das Leading Team und natürlich den anwesenden Komponisten mit Ovationen.

 

Weitere Aufführung: Sa, 2. August, 19.30 Uhr, Theater am Kornmarkt
Dauer ca. 70 Minuten ohne Pause