"Rickerl – Musik is höchstens a Hobby" derzeit in den Vorarlberger Kinos (Foto: 2010 Entertainment / Giganten Film)
Peter Ionian · 25. Jun 2012 · Musik

Ich brauche Beat! – Das Southside Festival entwickelt sich in Richtung eines jungen deutschsprachigen Zielpublikums

Drei Tage lang spielten 96 Bands auf vier Bühnen um die Aufmerksamkeit von insgesamt 55.000 Besuchern. Diese Fülle an Programm in so kurzer Zeit bedingt Gleichzeitigkeit und machte es manchen Festivalgängern schwer, sich ihr persönliches Programm zusammenzustellen. Welche Fans das Festival zieht, welchem Gesamtkonzept es folgt und wohin es sich wohl entwickeln wird, sei hier versucht, kurz zusammengefasst zu werden.

In unterschiedlichste Richtungen dehnte sich das 14. Southside Festival vom 22. bis 24. Juni in Neuhausen ob Eck nordwestlich des Bodensees, nur knappe zwei Autostunden von Vorarlberg entfernt.

Massentauglich

Das Southside ist längst kein Underground-Festival mehr. Seit dem neunten Jahr seiner Existenz, also seit fünf Jahren, ist es jährlich ausverkauft. Dafür lockt man mit den richtig großen Headlinern. Auch heuer war man um die großen Namen bemüht. Doch irgendwie scheint dieser Sommer nicht wirklich als Höhepunkt der internationalen Europatourneen in die Musikgeschichte einzugehen. Klar sind wieder viele tolle Bands unterwegs, aber die ganz Großen sind rar in sämtlichen Line-Ups. Vielleicht gibt es auch gerade wieder einen Generationenwechsel, bei dem die jungen Leute für junge Bands schwärmen und so neue Headliner entstehen. Jedenfalls war das Line-Up des Southside ein möglichst kommerzielles. Das Festival ist groß geworden und spielt in der obersten Liga mit. Der Underground war auch ein wenig vertreten und wurde in den großen Zeltbühnen überdacht. Dabei hat sich auch die Art des Undergrounds verändert. Die Geheimtipps geht man sich heutzutage deshalb ansehen, weil sie bereits mehrere Millionen Klicks auf Youtube haben. Die Programmgestalter haben also einen neuen Indikator für die Auswahl ihrer Buchungen. Man richtet sich nach dem Geschmack der Leute, denn bei aller Liebe zum Rock muss man sich ja auch seine Brötchen verdienen.

Opfer der Zeit

Scheinbar ist es nicht mehr der gute alte Rock, auf den die jungen Leute heute stehen. Das haben Headliner-Bands wie New Order und vor allem The Stone Roses zu spüren bekommen. Da war auf guten Gigs von legendären Bands, die in die Jahre gekommen sind, erschreckend wenig los. Young Guns, The Kooks und The Shins versuchten Rock ins Hier und Heute zu bringen. Die Eagles of Death Metal lieferten straighten, ehrlichen Rock, Wolfmother haben als Einzige recht gut gezogen, aber das meiste Alte blieb eher unbeachtet. Die Gäste wollten Beat und Party. Das äußerte sich im Extrem durch den Versuch einer Polonaise zu The Cure. Bands wie The Mars Volta gaben ihrer Frustration direkten Ausdruck auf der Bühne und äußerten sich unsympathisch und angewidert. Die meisten Bands lassen dann trotzdem ihre typischen Floskeln vom Stapel von wegen: Ihr seid das beste Publikum! Und schaffen so oft eine selbsterfüllende Prophezeiung. Umwerfende Bands wie beispielsweise Beirut waren mit dem Problem konfrontiert, dass die Leute nicht mal einen Sechs-Achtel-Takt mitklatschen konnten.

Deutschsprachig und tanzbar

Der Trend geht ganz klar in Richtung Sprachrohr der modernen Jugend. Und das bitte in vulgärer deutscher Sprache und mit klarem Beat, der reinhämmert. „Scheiß Opfer, geh mal Friseur – Erst wenn MTV wieder Musik spielt“, schreit Casper, etabliert den Moshpit neu und wird mit Crossover und Sprechgesang ein neues Aushängeschild der Jugend, auf die der Druck steigt. K.I.Z. und Jennifer Rostock setzen Übertreibung, Identifikation sowie sexistische und provokante Texte als ihre Markenzeichen. Und die Jugend singt mit, weil endlich jemand wagt, das Blatt vor dem Mund auszuspucken. KraftKlub werfen ein, dass sie unter Dinos zu jung zu Rock ’n’ Roll sind. Der Wind der Veränderung ist Beat, klar und druckvoll. Man will abgehen zu Bonaparte, eskalieren bei Justice, abspacen mit M83, ausklinken auf Kalkbrenner und abzappeln unter Steve Aoki, bis die Füße bluten. Es geht darum, eine gute Zeit zu haben, und Bands sollen dieses Bedürfnis befriedigen. Künstler sind diejenigen, die diesen Nerv treffen und sich als Dienstleister so entwickeln. Melancholie, Weltschmerz und Revolution haben einen neuen Katalysator entwickelt, nämlich den Rausch. „Der Klügere kippt nach" stand auf einem T-Shirt. Es geht darum, die Events quasi bewusstlos abzufeiern.

Musik aus dem Herzen

Dennoch werden immer noch kleine gefühlvolle Inseln der Emotionalität angesteuert. Ed Sheeran drückte als Singer/Songwriter Tränen aus den Drüsen, Mumford & Sons lösten Massenchöre aus, Frank Turner wird niemals erwachsen werden, Beirut lud auf eine Reise ein und The XX legten sich wie ein schwerer Nebel in offene Ohren. Auch deutschsprachige Helden wie Madsen und Sportfreunde Stiller machten Hoffnung. Bewegende Überraschungen wie die bayrischen Holstuonar Labrassbanda, die lieblichen Katzenjammer oder die positive Klangmaschine Hoffmaestro sorgten für Kurzweiligkeit. Dass Blink-182 zum Headliner gemacht wurde, verstanden selbst Skate-Punker von früher wahrscheinlich nicht. Aber auch die sind auf ihre Kosten gekommen, es spielten immerhin Lagwagon, Mad Caddies, Less than Jake und Pennywise. Nur richtig hart wurde es selten, am ehesten bei Rise Against oder All Shall Perish.

Spannende Zeiten

Von England über Schweden und Australien bis in die USA, von früher bis heute und von Gitarren bis DJ-Mixern: Der Charakter des Festivals ist ein dehnbarer. Wohin die Reise geht, wage ich hier nicht zu prophezeien. Ziemlich sicher werden wieder die großen Namen angefragt werden. Youtube-Klicks werden auch in Zukunft ein Spiegel der geteilten Meinung sein und somit das Booking beeinflussen. Das Festival wird sich stetig verjüngen müssen, um weiterhin ausverkauft zu sein. So schaffen die Leute von FKP Skorpio es hoffentlich auch weiterhin, ein zugfähiges Line-Up zusammenzustellen und einerseits gerade aktuelle Trends zu befriedigen und gleichzeitig auch gute gereifte Musik in die Headliner-Slots zu buchen.