Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Peter Ionian · 08. Jul 2012 · Musik

Kulturelles von Nischen bis Pop – Musikalische Anarchie von Yann Tiersen am zweiten Abend des poolbar-Eröffnungswochenendes

Das erste Wochenende ist vollbracht, die Eröffnung hat geklappt. Und schon die ersten beiden Abende lockten ziemlich unterschiedliche Besucher an. Mit Frittenbude gab es Party am Freitag. Am Samstag präsentierte Yann Tiersen seine Vision von musikalischer Anarchie in einem Ausnahmekonzert. Aber auch die Soundterrasse funktionierte, der Shop ist nett und die Architektur stimmt.

Rohmaterial Schaltafel

Das Architekturkonzept in diesem Jahr verwendet als Grundbaustein ein einfaches und altbekanntes Material, nämlich Schaltafeln. Vor dem Alten Hallenbad erheben sich kleine und größere Hütten aus diesen Holzplatten und so leuchtet der Außenbereich in frischem Gelb. Ein meterlanges Gemüsebeet aus Schaltafeln säumt den Hinweg und irgendwann gibts poolbar-Gurken. Die kleinen Häuschen schaffen Räume im Raum, die wie kleine Refugien genutzt werden, oder bieten alten und neuen Posten, wie dem Außen-DJ und der Küche, ein Dach und vier Wände. Das Konzept will die Vorarlberger Hüslekultur aufs Korn nehmen. Im Wohnzimmer ergibt sich dadurch eine interessante Raumtrennung. Auch die Tische und Stühle sind aus Schaltafeln. Natürlich sind das nicht irgendwelche Schaltafeln, denn es wurde jede einzelne bestempelt. „Poolbar-Festival, Kulturelles von Nischen bis Pop" ist der bereits traditionsreiche Leitspruch.

Jede Menge Möglichkeiten

Was letzten Samstag ausgezeichnet funktionierte, war die Soundterrasse. Einerseits gibt der Boden aus Holzplatten der Terrasse noch stärker eine klare Form, andererseits spielte mit Paradicso eine ausgezeichnete Formation. Sie spielten auch zum Jazzfrühstück nochmal ein Set am ersten poolbar-Sonntag. In der Küche gab es am Samstagabend eine Chili-con-carne-Aktion und das Wetter war angenehm. So war das Warten aufs Programm schon ein Genuss. Während der Umbauten hatte man Zeit, um einen Abstecher ins Style-Café zu machen, dort hängt die neue Kollektion an Shirts und Kleidchen sowie den heißen poolbar-Taschen. Der Raum hat Shop-Charakter, der zum Bummeln einladen soll. Dahinter versteckt sich die Koje von Proton, dem freien Radio. Sie übertragen das poolbar-Festival live für alle, die nicht kommen können.

Noch mehr Programm

Um Viertel nach neun spielte die Vorband auf. Luise Pop nennt sich das schüchtern-charmante Quartett. Die Band lebte vor allem von der Bühnenfront, an der sich drei Frauen präsentierten. Erst beim genaueren Hinhören wurde klar, dass der Schlagzeuger stilprägend war. Man spürte dennoch die starke weibliche Energie, obwohl die Songs eher unverbindlich blieben und wortwörtlich so klangen, als wenn Luise Pop machen würde. Gleich danach würde es mit dem Hauptact weitergehen. Da ist der Flug Tanzmarathon 7712 von Club Boogaloo Air leider fast ein wenig untergegangen, trotz einer abgehobenen Party und thementreuer Outfits. Der Tanzmarathon war doch früher immer später? Also, der kam doch ursprünglich am Ende der poolbar-Saison und da hatten sich im Laufe der sechs Wochen immer einige neue Tanzpärchen ergeben, oder?

Entfesselte Klangwelten

Was dann jedoch kurz vor halb elf in der Halle seinen Anfang nahm, übertraf oder überraschte wohl alle Erwartungen. Wer Yann Tiersen auf den „Amélie"-Soundtrack reduziert, wurde sogar schwer enttäuscht. Wer sich einen ruhigen Klavier- und Violienenabend erwartet hatte, wurde vor den Kopf gestoßen. Wer aber um das Genie des Multiinstrumentalisten wusste und sich auf eine Reise in außerordentliche Klangwelten einlassen konnte, der wurde in eine ausgefallene Umgebung katapultiert. Den ausgereiften und noch ausgefalleneren Soundmix, den Tiersen gemeinsam mit seiner 10-armigen Band präsentierte, hatte eine regelrechte Materialschlacht auf die Bühne gebracht. Alles mit einer klassischen Rockbesetzung unterbaut und von einem regelrechten Elektroinstrumente-Turm überragt. Synthie-Sounds pfiffen futuristisch anmutende Tonfolgen oder schufen sphärische Klangteppiche. Darin vermischten sich ungewöhnliche Instrumentenklänge vom Xylophon und der Geige über Mandoline, Ukulele bis zu Blasinstrumenten.

Er selbst behandelte die Geige, bis sie schrie in einem Beinahe-Solo zu „Sur le fil", dem einzigen Song vom Soundtrack der „Fabelhaften Welt der Amélie". Sonst war da nicht viel Frontmanngehabe. So hatten auch die Ausnahmemusiker links und rechts von ihm mehr Raum zur Entfaltung. Das steigerte sich in atemberaubende Chöre mit bis zu fünf Stimmen. Dichter und dichter wurde die Klangwolke rund um psychedelischen Folk-Punk mit weiteren Sounderlebnissen vollgepumpt bis kurz vor dem Platzen. Der gebürtige Franzose, der sich aber mehr als Nordmann fühlt, bedankte sich mit „Vielen Danke“ und als aus dem Publikum gerufen wurde, er solle französisch sprechen, meinte er nur: „No, we are in Austria and not in fucking France!“. Mit der kultivierten französischen Arroganz will er nichts zu tun haben und tauchte nach dem Konzert sogar noch auf der Party auf. Wie das gekommen sei, fragte ich ihn, dass er ein solcher Multiinstrumentalist geworden sei, der sich aber scheinbar von jedem klassischen Konsens gelöst hat und nur noch intuitiv Musik macht. Er habe das Klavier und die Geige lernen müssen und sie dann weggeworfen. Er wollte lieber in einer Punkband spielen und in der eigenen Kotze schwimmen. Das Ergebnis waren jedenfalls eine Darbietung von völlig entfesselter musikalischer Energie und Songs, die mehr sagen als tausend Worte.

Bauteile einer frischen Kulturbegeisterung

Nicht alle wussten so recht was damit anzufangen. Freilich, wer auf der Jagd nach der Bummbumm-Party war, erlebte wohl ein blaues Wunder. Dennoch waren manche Ausrufe unangebracht und der Geräuschpegel zeitweise respektlos hoch. Viele waren wahrscheinlich schlicht überfordert mit der akustischen Reizüberflutung. Musiker und Musikliebhaber waren jedoch ziemlich angetan und Geschmäcker dürfen ja verschieden sein. Die poolbar zeigt heuer ihr Gesicht als Schalung, als Gussform, in die wir eingebracht werden als Konsumenten von Kulturellem von Nischen bis Pop. So können wir Bauteile einer frischen Kulturbegeisterung werden. Damit dabei nicht die ganze Flüssigkeit verschwitzt wird, kann man sich bei der Petition zur Verbesserung der Infrastruktur des Alten Hallenbades solidarisch erklären.