Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Peter Füssl · 09. Aug 2014 · Musik

Lillinger trommelt in Überschallgeschwindgkeit, und Njava röhrt sich die Seele aus dem Leib – ein wahrlich abwechslungsreicher 2. Abend bei den Bezau Beatz

Bezau Beatz-Mastermind Alfred Vogel beschreitet gerne neue Wege. So hat er heuer die Konzertreihe auf ein dreitägiges Festival komprimiert und wettersicher und kompakt in die Wälderbähnle-Remise verlegt. Dort kann sich der aufgeschlossene Musik-Fan nun zwischen Bar und Dampflokomotiven platziert in stimmiger Atmosphäre und bei durchaus ansprechender Akustik über Hochklassiges und gleichzeitig Mainstream-Fernes aus den unterschiedlichsten Genres freuen. Da dürfen schon mal musikalische Welten aufeinanderprallen, was wie im Falle von „The Neubauten“ und „Island Jazz“ am zweiten Festivalabend durchaus seinen Reiz haben kann.

„The Neubauten“ – Avantgarde für alle!


Vermutlich würden geschätzte 99 Prozent der Normalverbraucher auf der Straße und noch immer die Hälfte der Bezau Beatz-Besucher eine Einladung zu einem Jazzkonzert mit drei jungen Avantgardisten, die eineinhalb Stunden über weite Strecken frei improvisieren, dankend ablehnen und lieber zuhause vor den Blechtrottel oder den Fernseher sitzen. „The Neubauten“ beweisen aber eindrucksvoll, dass Avantgardistisches sehr wohl auch Menschen in den Bann zu ziehen vermag, die ansich Leichtverdaulicherem den Vorzug geben würden. Denn dem unglaublich diffizilen und abwechslungsreichen Dauertrommelfeuerwerk des quirligen Christian Lillinger kann man eigentlich nur mit offenem Mund staunend zuhören und –sehen. Der dreißigjährige Protagonist der Berliner Szene ist eine singuläre Erscheinung in der trommelnden Zunft, was ihm nicht nur viel Lob in einschlägigen Jazz-Magazinen, sondern auch seitenlange Artikel in sonst nicht so musikkonzentrierten Qualitätszeitschriften wie dem „Spiegel“ („Drum-Revoluzzer Lillinger – Der Berliner mit der Rappelkiste“) oder „Die Zeit“ („Der Berliner Hipster mit Rock’n’Roll-Tolle und exaltierter Gestik“) einbringt. Eigentlich spielt der Günter „Baby“ Sommer-Schüler ja ein einziges wahnwitziges Dauersolo, aber ohne sich aufdringlich in den Vordergrund zu drängen. Vielmehr eröffnet er seinen gleichfalls äußerst versierten Kollegen Wanja Slavin am Saxophon und dem aus Göteborg stammenden Petter Eldh am Kontrabass mit seiner vielschichtigen und trotz aller Virtuosität banddienlichen Rhythmusarbeit jeglichen Raum zur Entfaltung und Präsentation ihrer reichhaltigen musikalischen Ideen. Völlig unverkrampft und fast unverstärkt präsentieren sie Hochkomplexes und kombinieren mit absoluter Selbstverständlichkeit Elemente aus unterschiedlichsten Genres. Das Bezau Beatz-Publikum zeigte sich, von einigen Dauerquasslern in Ausgangsnähe einmal abgesehen, konzentriert und begeistert.

Monika Njava – die pure Emotion!


Monika Njava gilt als die Stimme Madagaskars und heizte mit ihrer brodelnden Mischung aus Afrikanischem, Rock, Jazz und Funk die Wälderbahn-Remise ordentlich auf. Stimmgewaltig und explosiv ist sie ganz pure Emotion, röhrt in verschiedenen madagassischen Dialekten Leid und Freud ins Publikum und liefert sich vor allem mit ihrem Landsmann, dem fingerfertigen, manchmal hart rockenden, dann wieder mit Unkonventionellem verblüffenden Gitarristen Joël Rabesolo, in jeder Hinsicht reizvolle Duelle. Drummer Miora Rabariso, ebenfalls aus Madagaskar, liefert zuverlässige, aber etwas brave Rhythmusarbeit – kein Wunder, direkt auf Christian Lillinger folgend kann man nur blass aussehen. Normalerweise sorgt auch der aus Mauritius stammende und in Paris lebende Zawinul-geeichte Ausnahme-Bassist Linley Marthe für musikalische Highlights, er musste aber krankheitsbedingt die gesamte Tournee absagen. Der ebenfalls aus Mauritius stammende, in Belgien aufgewachsene Ersatz-Bassist Clive Govinden, der den Tieftöner auch schon für Touré Kunda, Zap Mama, Dobet Gnahoré oder Carla Bruni bediente, sprang kurzfristig in die Bresche und wusste durchaus zu gefallen, wenn er auch die Sonderklasse Marthes nicht ganz erreichen dürfte. „Island Jazz“ nennt sich die Formation, weil alle Protagonisten von Inseln stammen, subtilere Jazz-Ingredienzen wurden an diesem Abend freilich einer auf den Bauch zielenden, kraftvoll-mitreißenden Performance geopfert. Volle Röhre statt feiner Klinge, aber allemal ein musikalisches Erlebnis, das ebenfalls sehr gut in der Remise-Atmosphäre zur Wirkung kam.