Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Silvia Thurner · 02. Aug 2013 · Musik

Sadistischer Lustgewinn einer psychopathischen Persönlichkeit – „wasp factory“ von Ben Frost war ein zwiespältiges Erlebnis

Im Rahmen von „Kunst aus der Zeit“ bei den Bregenzer Festspielen stand die Uraufführung der „wasp factory“ von Ben Frost im Zentrum des Interesses. Die Performance in der Werkstattbühne zeichnete sich vor allem durch das Bühnenkonzept von Mirella Weingarten aus, die musikalische Umsetzung hingegen überzeugte nur bedingt. Eine besondere Leistung vollbrachten die stimmlich hervorragend aufeinander abgestimmten Sängerinnen Lieselot De Wilde, Jördis Richter und Mariam Wallentin.

Ben Frost ist vor allem als Elektroniker und Komponist für Tanztheaterproduktionen bekannt. Diese Produktion ist das erste szenische Werk des 33-jährigen Künstlers, der aus Australien stammt und in Island lebt. Als Kollektivkomposition will er die „wasp factory“ verstanden wissen, denn sie ist in enger Zusammenarbeit mit den Sängerinnen sowie den Partnern an den Electronics entstanden.

Harmloser Streicherteppich


Das Werk rund um den Hauptprotagonisten Frank aus dem Roman "wasp factory" von Iain Banks, ist musikalisch eher linear erzählend angelegt und ganz auf die drei Sängerinnen zugeschnitten. Den Instrumentalpart setzte Ben Frost für Streichquintett (Reykjavìk Sinfónia), allerdings beschränkte er sich darauf, die Streicher lediglich als fortlaufenden, minimalistisch konzipierten Klangteppich einzusetzen. Deshalb kam die musikalische Aussage innerhalb der vielschichtigen Handlung über eine illustrierende und beschreibende Rolle kaum hinaus.

Aussagekräftige elektronische Sounds


Als gleichberechtigter Partner neben den Streichern fungierte die Liveelectronic. In dieser Klangsprache hatten der Komponist und sein Partner Paul Corley etwas zu sagen. Körperhafte Klänge und Sounds, oft physisch spürbar und raumgreifend satt dargeboten, bewirkten unterschiedliche Wahrnehmungs- und Hörperspektiven. Sie trieben die Handlung voran und bündelten die Spannungsbögen immer wieder neu. Spannende Erwartungshaltungen wurden aufgebaut und mit eigenwilligen Wendungen gebrochen.

Über weite Strecken des gut einstündigen Werkes hatte ich den Eindruck, dass die musikalisch völlig harmlosen Streicherpassagen die Wirkung der Performance relativierten und in einen unnötigen „Softklang“ einbetteten.

Herausragende Darstellerinnen


In der tonalen Sprache von Pop- und Jazzsongs waren die Gesangspartien angelegt. Auffallend war die Kombination der drei unterschiedlichen Stimmencharaktere, die sich hervorragend ergänzten. Die aus dem Genre der Alten Musik kommende Lieselot De Wilde führte ihre Stimme schlank und mit schön gesetzten Verzierungen. Jördis Richter verfügte über eine offene und wandlungsfähige Stimme und Mariam Wallentin setzte ihre kraftvolle Stimme gelenkig und mit Registerwechseln ein, die immer wieder aufhorchen ließen. Die drei Frauen sangen in homophon geführten Linien sowie als reflektierende und schattenhafte Kommentatorinnen. Darüber hinaus agierten sie schauspielerisch hervorragend, denn ihnen wurde neben dem Gesang auch physisch viel abverlangt.

Allzu reduzierter Handlungsablauf


David Pountney hatte die schwierige Aufgabe übernommen, den 242 Seiten starken Roman von Iain Banks in ein Libretto zu fassen. Dabei beschränkte er sich im Wesentlichen auf einen Handlungsstrang und beschrieb die drei Morde, die der 16-jährige Frank begangen hatte. Assoziative Wortketten sowie Schlüsselsätze, die die psychopathische Persönlichkeit des Jugendlichen beschreiben sollten und in ihrer Aussage teilweise plakative Gegensätzlichkeiten anführten, ergaben meinem Eindruck nach einen etwas einförmigen Blick auf das Ganze. Bereits bei der Schilderung des ersten Mordes wurde deutlich, wie lustbetont Frank zerstört und mordet. Deshalb zogen sich die folgenden beiden Mordberichte in die Länge. Erst am Schluss, als die vertrackte Identitätsfindung kulminierte, bündelte sich der Fokus wieder.

Das Bühnenkonzept trägt die Aufführung


Gelebt hat die Aufführung wie schon gesagt von den drei Hauptdarstellerinnen und dem Bühnenbild von Mirella Weingarten. Eine ebene Fläche, gefüllt mit Rindenmulch, diente zuerst als Projektionsfläche für die Psyche des verwahrlosten Frank, der sich als absoluter Herrscher seines eigenen Reiches hochstilisierte. Hier wühlten und gruben die Protagonisten nach Trophäen niedergemetzelter Tiere, die sinnbildlich für unterschiedliche Verlusttraumata standen. Auch die Rolle des Bruders Eric wurde mit herausragenden Spannungsmomenten dargestellt. Im Telefonat der Brüder miteinander spiegelten sich das große Aggressionspotential der beiden und die Angst vor dem Kontrollverlust wider. Auch die autistischen Züge sowie der zwanghafte Drang zur Rechtfertigung des Tuns, zum Ritual und zur Ordnung, wurden durch die geometrisch angeordneten Lichtlinien eindrücklich zur Geltung gebracht.

Die sich allmählich aufrichtende Bühne und das eingesetzte Licht (Lichtdesign Lucy Carter) waren weitere beeindruckende, interpretatorische Pfeiler. Düstere Lichtpunkte aus der Bühnenunterseite, der Schein hinter der abbröckelnden Fassade und am Schluss die gleißenden Lichtblitze machten viel Eindruck.

Ungünstige Hervorhebung eines Einzelnen


Resümierend war die Fokussierung dieser Performance allein auf den Komponisten Ben Frost nicht vorteilhaft. Für ein Musiktheater hat die Musik eine allzu illustrierende, dienende Funktion und im Hinblick auf die Gesamtlänge eindimensionale Ausstrahlung. Als Bühnenadaption und Performance mit Musik hingegen, berührt die "wasp factory" aufgrund der guten Hauptdarstellerinnen und des starken Bühnenkonzeptes.

 

 

Weitere Aufführung
Sonntag, 3. August, Werkstattbühne,  19.30 Uhr

Auftragswerk von Kunst aus der Zeit / der Bregenzer Festspiele

Eine Produktion von Hebbel-am-Ufer und Laura Berman_Next in Koproduktion mit dem Holland Festival und Royal Opera House Covent Garden in Zusammenarbeit mit dem Cork Midsummer Festival und Mercat de les Flors / Graner, Barcelona.