Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Fritz Jurmann · 04. Jul 2013 · Musik

Schildkrötenbühne und ein Tamino in der Lederhose - Die Bregenzer Festspiele gaben am Pressetag erste Einblicke in ihre beiden Hauptproduktionen

Es schüttete wie aus Kübeln, als sich am Donnerstagvormittag eine Truppe internationaler Journalisten von TV-Stationen, Radio und Printmedien ins Festspielhaus aufmachte, zum traditionellen Pressetag der Bregenzer Festspiele. Und gerade als alle hofften, dieses Wetter möge kein schlechtes Omen für die in 14 Tagen beginnende 68. Saison in Bregenz sein, klarte der Himmel auf und damit auch die Mienen der Verantwortlichen. Sogar die vorgesehene Probe auf der Seebühne mit einer besonders spektakulären Stunt-Szene aus der „Zauberflöte“ konnte wie geplant stattfinden, lautet das heurige Motto doch „Dem Licht entgegen“.

Zu 90 Prozent ausverkauft


Optimismus herrschte an diesem Vormittag auch deswegen, weil inzwischen bereits 90 Prozent der aufgelegten 200.000 Karten für die „Zauberflöte“ verkauft sind und im Sog dieser Hauptproduktion auch die übrigen Projekte mit insgesamt 80 Vorstellungen innerhalb von vier Wochen gut laufen. „Der Wasserstand des Bodensees macht uns im Moment mehr Sorge als der Stand des Kartenvorverkaufs“, lächelte ein zufriedener kaufmännischer Direktor Michael Diem, der wesentlich an der Stückwahl beteiligt war. „Es waren die am meisten belohnten fünf Minuten, als im Gespräch mit Michael Diem die Entscheidung fiel, heuer Mozarts ‚Zauberflöte‘ anstelle des schon geplanten Musicals ‚Showboat‘ am See zu zeigen“, gestand ein aufgeräumter Intendant David Pountney. Damit soll, nach der reservierten Aufnahme der beiden letzten Saisonen mit „André Chénier“ am See durch das breite Publikum, endlich wieder Geld in die schwächelnden Kassen der Festspiele gespült werden.

Geerbt von der ursprünglichen Musical-Planung hat man den Dirigenten Patrick Summers, der im Haus vor Jahren bereits die Oper „Von Mäusen und Menschen“ geleitet hat und sich nun beeilt zu versichern, Mozart sei sein Lieblingskomponist und dies auch durch kundige Statements unterstreicht. Dank der Werkstattbühne ist man trotz des vielen Regens in diesem Jahr auch mit den Proben gut vorangekommen, die Sängerinnen und Sänger der dreifach besetzten Hauptpartien haben inzwischen auch alle vorhandenen Höhenängste bewältigt, die die Seebühne bieten könnte, und stehen Gewehr bei Fuß. Stellvertretend schwärmte der deutsche Tenor Rainer Trost, der als Tamino in seiner privaten langen Lederhose erschienen ist: „Das ist etwas ganz Besonderes auf dieser Bühne, wie man es an keinem Theater sonst findet.“

Pountney führt selber Regie


Vor seinem Abgang als Intendant der Festspiele 2015 hat David Pountney quasi als Abschiedsgeschenk selber die Regie der „Zauberflöte“ übernommen. Er will den unzähligen Inszenierungen, die es weltweit von dieser Oper gibt, eine Fassung beifügen, die deren Entwicklung im Laufe von über 200 Jahren seit der Entstehung 1791 beinhaltet, also eine „Interpretation mit Pyrotechnik, Stunts, Licht, Blitz und Donner und allem, was auch ein Mozart heute eingebaut hätte“, wie Rainer Trost den Denkansatz des Regisseurs deutet.

Pountney will dem Werk bei aller Texttreue neuen Sinn geben, als Botschaft in der richtigen Proportion einen großen Bogen spannen zwischen Komödie, Märchenzauber und philosophisch-humanistischen Erkenntnissen. Aus rein praktischen Gründen musste die im Original etwa dreistündige Oper freilich auf gute zwei Stunden gekürzt werden, u. a. fallen das Finale des 1. Aktes (weil es am See keine Pause gibt) und das Terzett dem Rotstift zum Opfer.

Drehbare Schildkröte als Hauptbühne


Und es wird bei Pountneys „Zauberflöte“-Inszenierung auch keine großen Massenszenen wie üblich geben – das ist auf der von Johan Engels erdachten naturnahen Bühne mit ihren Comic-artigen Drachenhunden, der erstmals drehbaren Hauptbühne als Panzer einer Schildkröte samt aufblasbarem Wald und vielen Spielereien auch gar nicht möglich. Pountney möchte viel mehr Wirkung über einzelne, speziell in ihrer Bedeutung hervorgehobene Figuren erzielen, deren Denkweise und Hintergründe psychologisch ausdeuten. Bei ihm ist auch nicht wie üblich die Königin der Nacht die Böse und Sarastro der Gute, „nur weil er schön singt“ (Pountney). Der Mohr Monostatos verkörpert hier die Schattenseiten des frauenfeindlichen Sarastro und dessen unterdrückte Wünsche, wenn er Pamina entführen lassen will.

Die wichtigste philosophische Erkenntnis des Stückes mündet in das Duett „Mann und Weib und Weib und Mann, reichen an die Gottheit an“ – eine Metapher für die Liebe. Während die Königin und Sarastro als dunkle Mächte einander töten, gehört die Zukunft dem Paar Tamino und Pamina, das am Schluss durch das Publikum abgeht und damit alle in die Verantwortung für unsere weitere Existenz miteinbezieht.

Opernuraufführung im Haus


Der zweite Schwerpunkt des wie üblich von Pressesprecher Axel Renner kompetent moderierten Pressetages galt der diesjährigen Hausproduktion mit der Uraufführung der Oper „Der Kaufmann von Venedig“ nach Shakespeare mit der Musik des polnisch-britischen Komponisten André Tchaikowsky. Inszenieren wird dieses Stück über Liebe und Geld, Gnade und Gesetz Keith Warner, dem man in den Vorjahren den künstlerisch fulminanten „André Chénier“ am See zu danken hat. Er war aus privaten Gründen unabkömmlich.

Dafür berichtete nach einem eindrucksvollen Probenausschnitt David Pountney von seiner ungewöhnlichen Entdeckung dieses Komponisten in der Nachfolge des Weinberg-Schwerpunktes vor zwei Jahren. Die britische Autorin Anastasia Belina-Johnson machte ihn auf diesen zu Lebzeiten verkannten und heute längst vergessenen Musiker und seine einzige, bisher unveröffentlichte Oper aufmerksam. Sie hat inzwischen nach langwierigen Recherchen ein Buch über André Tchaikowsky geschrieben, „Die tägliche Mühe ein Mensch zu  sein“, das im Wolke-Verlag erschienen ist, bei diesem Pressetag präsentiert wurde und ab 10. Juli im Buchhandel erhältlich ist. Ein eigenes Symposium, an dem auch der prominente ungarische Pianist András Schiff teilnehmen wird, der Tchaikowsky noch persönlich gekannt hat, wird sich vom 20. bis 22. Juli in Bregenz mit Leben und Werk dieses Komponisten befassen.

„Summe aus 400 Jahren Musikgeschichte“


Erik Nielsen, der Dirigent der Aufführung, der bereits in Wien mit den Symphonikern vorgeprobt hat, schwärmte von einer spannenden, sehr dichten, aber auch sehr schwer zu interpretierenden Musik Tchaikowskys: „Das ist alles wunderbar orchestriert, in einem sehr dichten, aber ökonomisch aufgebauten Stil, mit einer Stimmführung wie bei Bach und einer Qualität, die man als das Opus maximum, die Summe aus 400 Jahren Musikgeschichte bezeichnen könnte.“ Er selber spielt aus der Originalhandschrift des 1982 mit 46 Jahren verstorbenen Komponisten und Pianisten, um ihm damit möglichst nah zu sein.

David Pountney lobte das „intelligent gemachte Stück“ nach Shakespeares Vorlage und nannte es ein Wunder, dass ein Musiker wie Tchaikowsky, der außer zwei Streichquartetten und einem Klavierkonzert nichts komponiert hatte, eine Oper von solcher Aussagekraft schaffen konnte. Trotz der Hauptfigur um den Juden Shylock sei es kein antisemitisches Stück, es prallten dabei viel mehr die beiden Welten des damaligen Venedig als Zentrum von Geld, Geschäft, Intoleranz und Hass und andererseits jene der Menschlichkeit um Liebe, Frauen und Musik hart aufeinander, was auch in den völlig verschiedenartigen musikalischen Ausdeutungen klar wird.

 

Seebühnen-Show „Die Zauberflöte“ – 20-minütige Bühnenpräsentation
Sa, 6. Juli, 14.00 Uhr, Seebühne – Eintritt frei!

Crossculture Night
Sa, 13. Juli, ab 14.00 Uhr – ausverkauft!

W. A. Mozart: „Die Zauberflöte“, Oper in zwei Aufzügen
Premiere: Mi, 17. Juli, 21.15 Uhr, Seebühne, und weitere 27 Aufführungen bis 18. August

André Tchaikowsky: „Der Kaufmann von Venedig“, Oper in drei Akten (Uraufführung)
Premiere: Do, 18. Juli, 19.30 Uhr, Festspielhaus, und weitere zwei Aufführungen am 21. und 28. Juli, jeweils 11.00 Uhr