Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Thorsten Bayer · 14. Dez 2012 · Musik

Schräg und bitterböse – The Tiger Lillies in St. Gallen

Am gestrigen Donnerstagabend war ein spezielles Künstlertrio zu Gast in der St. Galler Grabenhalle. Die Tiger Lillies treten als stark geschminkte Gentlemen auf, die das dreckige, kriminelle London eines Mackie Messer auferstehen lassen. Der Clou dabei: Sie verpacken ihre bitterbösen Texte in gefällige musikalische Gewänder. Genaues Hinhören lohnt sich. Geschickt kombinieren sie nostalgische und experimentelle Elemente. Leider sind zahlreiche ihrer Songs sehr ähnlich gestrickt. So plätschert das Konzert nach einer Weile etwas dahin.

Ihr Stil ist schwer einzuordnen, doch ihre Vorbilder sind klar definiert. Seit die Tiger Lillies 1989 gegründet wurden, orientieren sie sich vor allem an Kurt Weills Brecht-Interpretationen wie beispielsweise der „Dreigroschenoper“. Viele ihrer Songs sind im Rotlichtmilieu angesiedelt, handeln von Drogen, Vergewaltigungen, Mord und Totschlag. Keine leichte Kost. Umso erstaunlicher – oder vielleicht geschickter –, dass die Musik dazu so unscheinbar und freundlich daherkommt. Bei flüchtigem Hinhören könnte es sich um harmlose Musiker aus der nächsten Hafenbar handeln. Aber schon die Optik läuft diesem Eindruck zuwider. Alle drei tragen tadellos sitzende Anzüge und Hüte, starke weiße Schminke mit schwarz umrandeten Augen. So wirkt vor allem Sänger Martyn Jaques, der auch Akkordeon und Klavier spielt, wie der maliziöse Joker aus „Batman“. Er hat sichtlich Spaß daran, den bösen Clown zu spielen. Und einer seiner Songs („Clown“) liefert auch die Erklärung dazu, was von dieser vordergründig lustigen Maskerade zu halten ist: „My whole life it is misery / My whole life it is grief / The face-paint it just hides my soul / My life is a deceit.“

Falsettstimme und grimmiges Knurren

Als Täuschung versteht er also seine Rolle. Und so führt er gemeinsam mit seinen Kollegen Adrian Stout (Kontrabass, Singende Säge) und Adrian Huge (Drums und Percussion) seine Zuhörer aufs Glatteis, wenn er, getragen von Huges Schunkelrhythmen, Lieder wie „Beat me“ singt: „Beat me till I'm black, beat me till I'm blue / I will, I will love you / Beat me till I cry, beat me till I die / I will love you / And burn my house to the ground / I will not make a sound.”

Falsettstimme und ein tiefes, animalisches Knurren wechseln sich dabei ab. So entsteht einmal eine sehr eigene Art der Beatbox, als Stout seinen Bass zum Schlaginstrument macht, während Jaques grimmig schnalzt und knurrt. Ebenso gehören Provokationen zu ihrem Stil, wenn sie beispielsweise Mutter Maria als „fucking cow" beschimpfen.

Gleichförmigkeit

Elektronische Effekte verleihen den Songs immer wieder eine schwebende, unheimliche Stimmung, die an Trip Hop erinnert. Doch leider können auch sie nicht verhindern, dass mit der Zeit dem Auftritt etwas die Luft ausgeht. Zu gleichförmig sind ihre Songs auf Dauer. Sie sind in ihrem Spiel zu wenig variabel; sowohl jeder einzelne an seinen Instrumenten als auch vor allem als gesamte Band. Ein witziges Detail am Rande: Sänger Martyn Jaques liest die Texte von seinem Smartphone ab, das er auf seinem Akkordeon befestigt hat.

Eurovision Song Contest

Seit über 20 Jahren stehen die drei auf der Bühne, haben rund 20 Alben veröffentlicht. Ihren internationalen Durchbruch erzielten sie Ende der 90er-Jahre mit dem Theaterstück „Shockheaded Peter“ (Der Struwwelpeter). 2003 widmeten sie sich bei dem Projekt „Mountains of Madness den makabren Geschichten von H.P. Lovecraft: Dabei arbeiteten sie mit Alexander Hacke, dem Bassisten der Einstürzenden Neubauten, und der Berliner Künstlerin Danielle de Picciotto zusammen. Im Vorjahr setzten sie, nach einem kurzen Gastspiel beim Bregenzer Seelax-Festival, im Wiener Museumsquartier Georg Büchners Drama „Woyzeck“ als düsteres Musical um. Zweifellos haben sie ein ganz eigenes Profil, das mancher Kritiker gerne auf der ganz großen Bühne sähe. So schrieb David Rose in der Online-Ausgabe der Times vor sechs Jahren: „In an ideal world, the Tiger Lillies would represent Britain in the Eurovision Song Contest.“

 

www.grabenhalle.ch