Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Fritz Jurmann · 14. Feb 2013 · Musik

Toll musiziert und zwingend inszeniert: Verdis Opernknüller „La Traviata“ wird am Landestheater zum visionären Requiem

Falls es ein Zufall gewesen sein sollte, dann war’s ein glücklicher. Denn es gibt wohl kaum einen idealeren Tag als den besinnlichen Aschermittwoch für eine Premiere von Giuseppe Verdis Oper „La Traviata“, die als visionäres Requiem angelegt ist. Landestheater-Intendant Alexander Kubelka hat auch bei seiner zweiten Opernregie Intelligenz und Ideenreichtum bewiesen, unter dem debütierenden Dirigenten Thomas Platzgummer wurde am Kornmarkt gesungen und musiziert, dass es eine helle Freude war. Die vom fast vollen Haus bejubelte Koproduktion mit dem Symphonieorchester Vorarlberg ist ein Coup, ein großartig gelungenes Gesamtpaket, das sich Opernfreunde im Bodenseeraum nicht entgehen lassen sollten.

Die Geschichte einer Edelhure

Passend zum Aschermittwoch entsagt auch hier die Kurtisane Violetta der Fleischeslust des lasterhaften Lebens, um sich der einzig wahren Liebe hinzugeben – Alfredo. Doch dessen Vater hat aus Standesdünkeln etwas gegen diese Verbindung mit der Liederlichen einzuwenden, erpresst ihren Verzicht auf Alfredo, seine Reue kommt zu spät. Und so stirbt Violetta an gebrochenem Herzen, was man damals noch Schwindsucht nannte. „La Traviata“ nach dem Libretto von Francesco Maria Piave nach Alexandre Dumas‘ Roman „Die Kameliendame“ ist die Geschichte einer Edelhure in Paris um 1840, ein Drama auch der krassen sozialen Konflikte um ihren gesellschaftlichen Aufstieg an der Seite eines Adeligen und ihr berührendes Ende, uraufgeführt 1853 in Venedig.

Das Werk war bereits 1992 einmal in solcher Konstellation am Kornmarkt zu erleben, inszeniert von Kurt Sternik, dirigiert von Christoph Eberle, und ist damit die zweite Wiederholung im Repertoire dieser Koproduktionsreihe. Vor drei Jahren wurde es semi-professionell im Musiktheater Vorarlberg in Götzis gegeben. Als Outdoor-Option auf dem See konnte sich die populäre „Traviata“ bei den Bregenzer Festspielen trotz mehrmaliger Denk-Ansätze bisher nicht durchsetzen. Aber die Oper dominiert bis heute ungebrochen die Spielpläne der großen Opernhäuser, die Violetta ist eine Traumpartie für alle großen Primadonnen der Vergangenheit bis zur Gegenwart. Legendär ist die Verfilmung durch Franco Zefirelli mit Teresa Stratas und Placido Domingo in den Siebzigern, zuletzt hat diese Rolle der Russin Anna Netrebko 2005 bei den Salzburger Festspielen zum internationalen Durchbruch verholfen.

Man vergisst das Fehlen von Kulissen

Beim Betreten des Theaters am Mittwoch wähnt man sich zunächst in einer konzertanten Vorstellung. Auf offener Bühne nimmt das Orchester den hinteren Teil ein, weil es im Graben für die Verdi-Besetzung zu wenig Platz gibt. Es bleibt den ganzen Abend über sichtbar und wird als Element ins Spiel einbezogen, seitlich und nach hinten abgegrenzt durch Wände. Weitere Kulissen (Bühne: Paul Lerchbaumer) gibt es nicht, und man vermisst sie auch nicht. Weil nämlich Kubelkas Regie ein so zwingend dichtes Netz an psychologischen Fäden zwischen den drei Hauptfiguren zu spinnen versteht, dass man mit wenigen Requisiten und opulent fantasiereichen Kostümen (Andrea Hölzl), wirkungsvoll ins Licht gesetzt (Arndt Rössler), durchaus auskommt. Eine große Oper, die eigentlich ins Festspielhaus gehört hätte, wird hier zum intimen, kompakten Kammerspiel. Das Beispiel zeigt: Effekt und Spannung über fast drei Stunden lassen sich eben auch mit wenig Aufwand erzielen.

Eine Kerze steht den ganzen Abend lang als eine Art geistiges Zentrum im Mittelpunkt des Geschehens. Violetta zündet sie an, noch ehe das traumhafte Vorspiel zum 1. Akt einsetzt. Jedem im Saal ist in diesem Moment klar: Es ist das Lebenslicht der Schwindsüchtigen, mit der man die folgenden drei Stunden in einer emotionalen Hochschaubahn zwischen Liebe und Leidenschaft, Verzweiflung und Resignation mitlebt und -leidet. Sämtliche übrigen Akteure inklusive Chor haben, mit Ausnahme ihres Geliebten Alfredo, weiße Gesichter mit dunklen Augenhöhlen.

Brennende Kerzen statt Sektgläser in den Händen

Schon beim berühmten Trinklied und auch beim Maskenball halten die Chorleute brennende Kerzen statt Sektgläser in ihren Händen. Sehr rasch wird deutlich: Das sind Visionen eines Requiems, die sich immer mehr verdichten, bis sie zum Schluss in eine brutale Wirklichkeit münden, wenn Violetta selbst ihre Kerze auslöscht. Ob dieser zwingenden Darstellung gerät die angekündigte Abrechnung des Regisseurs mit den Auswüchsen unserer Spaßgesellschaft als Sozialdrama eher in den Hintergrund.

Der Dornbirner Thomas Platzgummer (41), das bislang in diesem Umfeld „unbekannte Wesen“ als Dirigent, feiert damit in dieser Opernreihe und am Pult des Symphonieorchesters Vorarlberg, dem er lange auch als Cellist angehört hat, sein mit Spannung erwartetes Debüt. Und beweist dabei gute Nerven, beachtliche Routine von seinen Grazer Verpflichtungen her, jugendliches Temperament und klare Vorstellungen im Sinne des Komponisten, dem er sich bis ins kleinste Detail verpflichtet fühlt.

Die stark auf die inneren Vorgänge der Protagonisten zielende, oft intime und melancholische Musik Verdis mit ihren so sinnfällig melodiösen Opernhits im Zehn-Minuten-Takt zelebriert er mit einem sensibel auf Klang und Schönheit eingestellten Orchester. Klar hätte man sich das heikle Vorspiel zum 1. Akt aus dem Repertoire früherer Radio-Wunschkonzerte noch etwas kompakter und in den ersten Geigen sauberer gewünscht, aber das Orchester gerät sehr bald in Fahrt und spürbare Begeisterung und musiziert engagiert mit jenen unverzichtbaren Ingredienzien der italienischen Oper, die man Brio und Italianità nennt.

Präzision und Balance stimmen

Die Situation mit dem Orchester auf der Bühne bringt freilich nicht nur Vorteile, sondern auch den Nachteil, dass die Sänger im Rücken des Dirigenten stehen und eine Korrespondenz nur über Monitore im Zuschauerraum erfolgt. Angesichts dessen  ergibt sich eine bemerkenswerte Präzision im Zusammenwirken. Und großteils stimmt auch die Balance. Nicht unbedingt, weil Platzgummer das Orchester so sehr zurücknimmt, sondern weil die Sänger solche Strahlkraft haben und vorne stehen.

Da ist zuvorderst der Bregenzer Festspielchor zu nennen, der seinem kometenhaften Aufstieg in den letzten Jahren hier das Sahnehäubchen aufsetzt. Seit Benjamin Lack dort am Werk ist und den Chor mit Topstimmen auf das heutige Niveau gebracht hat, gehört er mit seiner Klangkultur und Ausstrahlung zu den Topformationen im Land. Neben vielen musikalisch heiklen Anforderungen wird den Sängerinnen und Sängern auch noch ein hohes Maß an Spielfreude abverlangt: Sie kriechen zum ersten Auftritt auf die Bühne, absolvieren beim Maskenball choreografische Vorlagen, sind als „Spaßgesellschaft“ ein ganz wichtiges Handlungselement.

Drei tolle Sänger-Schauspieler entdeckt

Hervorragend wurde bei dieser Produktion auch im Casting gearbeitet und dabei wurden drei tolle Entdeckungen bei uns noch unbekannter internationaler Sänger der jüngeren Generation ans Bregenzer Bühnenlicht befördert. Die Georgierin Tatjana Larina in der Titelrolle ist eine Idealbesetzung, in jeder Phase ihrer Wandlung glaubwürdig: als kokett Lebenslustige, als Geliebte, die ohne Scheu im „Nahkampf“ mit ihrem Alfredo zur Sache geht, als Zornige, die sich gegen die Übermacht auflehnt, als Sterbende mit dem Aufgebot der letzten Kräfte. Dabei erfüllt sie in höchstem Maß auch die stimmlichen Anforderungen dieser Partie, setzt ihre Koloraturen und Spitzentöne glänzend und ohne Makel, verfügt auch über ein wunderbar kultiviertes Piano.

Ihr Partner, der ansehnliche Mexikaner Jesús León als Alfredo, ein Sunnyboy der Opernbühne, ist endlich einmal ein Tenor, um dessen stimmliches Seelenheil man nicht zu bangen braucht, wenn er zu Höhenflügen ansetzt wie in der durch die gewählte verlängerte Originalfassung verdoppelten „Cabaletta“. Auch sein Parlando ist untadelig, sein Spiel sehr natürlich und unaufgesetzt. Der russische Bass-Bariton Ilya Silchukov als Vater Germont, dem man letztlich nicht anmerkt, dass er eigentlich jünger ist als sein Bühnensohn, bewahrt sich bei allem kalten Kalkül seiner Ränke eine Spur Menschlichkeit und besticht mit einer tragenden, schön geführten Stimme.

Junge Stimmen aus der Region

Mit der künstlerischen Glaubhaftigkeit dieses Dreigestirns steht und fällt heute eine „Traviata“-Produktion. Die Nebenrollen sind erfreulich fast durchwegs mit jungen, qualitätvollen Stimmen aus der Region besetzt, wobei Veronika Dünser als Freundin Flora mit ihrem dunklen Mezzo und Judith Scherrer mit ihrem klaren Sopran als präsente Dienerin Annina hervorstechen. In weiteren Partien sind Martin Mairinger, Matthias Haid, Johannes Schwendinger und Michel Schwendinger zu erleben.

Intendant Kubelka widmet am Beginn diese Vorstellung dem erst verstorbenen früheren Intendanten Bruno Felix und kniet im Schlussapplaus symbolisch vor Hauptdarstellerin Tatjana Larina nieder, die zuvor als einzige vom begeisterten Publikum Standing Ovations erhalten hat. Mehr kann man von einem Opernabend nicht verlangen. Und idealer als mit dieser gelungenen Produktion hätte man in Vorarlberg auch den 200. Geburtstag Giuseppe Verdis nicht feiern können.

Hörfunkwiedergabe:
Sonntag, 17., und Sonntag, 24. Februar, jeweils 20.05 Uhr, Radio Vorarlberg

Weitere Vorstellungen im Theater am Kornmarkt, Bregenz:
15., 21., 23., 25. und 27. Februar, 1. und 5. März, jeweils 19.30 Uhr;
17. Februar und 3. März, jeweils 16.00 Uhr