Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Silvia Thurner · 21. Sep 2014 · Musik

Unmittelbar aus dem Leben geschöpfte Musik – Das Symphonieorchester Vorarlberg und Kirill Petrenko kristallisierten die psychologische Kraft von Mahlers „Sechsten“ bewundernswert heraus

Nach zwei Jahren Pause wurde mit der sechsten Symphonie von Gustav Mahler der bereits jetzt legendäre Mahler-Zyklus des Symphonieorchesters Vorarlberg unter der Leitung von Kirill Petrenko fortgesetzt. Die in diesem Werk beziehungsreich in Szene gesetzte Spannung kristallisierte das groß besetzte Orchester transparent heraus und zog mit ausgeklügelten Phrasierungen, gespickt mit großartig gespielten Soli, die Zuhörenden im Bregenzer Festspielhaus eineinhalb Stunden lang in seinen Bann. Die Mezzosopranistin Stella Doufexis begeisterte mit ihrer sensibel geführten Stimme in Mahlers Rückerliedern. Leider standen die Lieddeutungen allzu sehr im Schatten der opulenten Darbietung von Mahlers Sechsten.

Über den Interpretationsansatz, den Kirill Petrenko Mahlers sechsten Symphonie zugrunde gelegt hat, gäbe es sehr viel zu sagen. Dass die Partitur bis ins kleinste Detail studiert war und die Musiker des Symphonieorchesters Vorarlberg, verstärkt durch Kollegen der Südwestdeutschen Philharmonie Konstanz ihrem Dirigenten mit ganzem Einsatz und voller Konzentration gefolgt sind, war vom ersten Ton an hör- und auch spürbar.

Durchdacht und voller Tatendrang


Die Zeit in der Musik und die psychologische Zeitwahrnehmung musikalischer Gestalten waren Gustav Mahler im kompositorischen Schaffensprozess wichtig und Kirill Petrenko setzte diese in seiner Werkdeutung durchdacht und geistreich in Szene. Weil die Symphonie an alle höchste Ansprüche stellt, kann der Elan und der „Tatendrang“ aller Musiker nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Im Marsch des Eröffnungssatzes kam die tief schwellende musikalische Kraft mit vielen gegensätzlichen Energieflüssen, dynamisch hervorragend austariert voll zur Geltung. Es erklangen pendelnde, melodische Phrasen in wunderbar leuchtenden harmonischen und klangfarblichen Spielen. Eine besondere Wirkung verströmte auch der bewusst hohe Geräuschanteil, mit dem einige Motive markant in den Klangvordergrund traten. Dass das Werk präzise geprobt worden ist, war unter anderem in den bewundernswert exakten Pizzicati der Streicher nachzuvollziehen.

Herausragende Solistinnen und Solisten


Die kammermusikalische Spielfreude wurde vor allem in den beiden Binnensätzen spürbar. Jede und jeder im großen Orchesterverband entfaltete ihren / seinen Part eigenverantwortlich und so hielt sich die Spannung in einem detailreichen musikalischen Fluss. Höhepunkt der Werkdeutung war der dritte Satz, das berühmte Scherzo. Darin kam die ganze Abgründigkeit, die Mahler in seine sechste Symphonie eingebettet hatte, in einem stilisierten Spiel zum Ausdruck. Bis zum Bersten spannte Kirill Petrenko den musikalischen Bogen, immer wieder mit unterschiedlich variierten motivischen Charakteränderungen, Wiederholungen und Interaktionen, bis die trügerische Idylle mit gleißenden Klänge höchst eindrücklich und plastisch ineinander zusammensackte.

Zukunftsweisend


Vor allem mit der Klanggebung des Finalsatzes wies Gustav Mahler weit in die Kompositionstechnik der Zukunft und diese führte auch das Orchester beeindruckend vor Augen. Dass alle noch einmal die Kräfte bündelten wurde deutlich und obwohl die Konzentration bis zum Schluss gehalten wurde, machten sich in diesem Abschnitt mitunter spieltechnische Unebenheiten bemerkbar. Diese schmälerten die intensiven Deutung jedoch nicht.

Im Schatten des Großereignisses


Die Rückert-Lieder für Singstimme und Orchester von Gustav Mahler und die hervorragende Mezzosopranistin Stella Doufexis hätte ich sehr gerne bei einem anderen Konzert gehört. Denn die Liedinterpretationen traten neben der sechsten Symphonie unweigerlich in den Hintergrund der Aufmerksamkeit. Stella Doufexis führte ihre warme Stimme mit einem geradlinigen Duktus, der den Liedern eine große Intensität verlieh. Textdeutlich sang sie ihren Part und lotete den sprachmelodischen Fluss wunderbar aus. Jedes der fünf dargebotenen Lieder (Blicke mir nicht in die Lieder!; Liebst du um Schönheit; Ich atmet’ einen linden Duft; Um Mitternacht; Ich bin der Welt abhanden gekommen) offenbarte seinen Reiz. Am eindrücklichsten wirkte „Um Mitternacht“ wo Stella Doufexis, das SOV und Kirill Petrenko zuerst die Zerrissenheit und dann das Gottvertrauen intensiv zelebrierten. Das Orchester musizierte mit einer ausgefeilten Pianokultur, die der außergewöhnlichen Instrumentierung viel Raum zur Entfaltung bot.