Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Silvia Thurner · 10. Nov 2014 · Musik

Viele Anregungen, gute Werkdeutungen und angenehme Unterhaltung – „Texte und Töne“ im ORF fand auch in der zweiten Auflage viel Zuspruch

Bereits zum zweiten Mal hat der ORF die Türen für „Texte und Töne“ geöffnet und auch dieses Jahr war die zweitägige Veranstaltung mit viel zeitgenössischer Musik und neuen Texten ein voller Erfolg. Das Zusammenwirken mit dem Ensemble Plus, dem Symphonieorchester Vorarlberg, Literatur Vorarlberg sowie der Akademie St. Blasius bot ein breit gefächertes Angebot, das die Sinne anregte und zu Diskussionen einlud. So wurde das ORF-Publikumsstudio in Dornbirn zu einem Begegnungsort, wo man Neues auf hohem Niveau erfahren und Gleichgesinnte treffen konnte. Dies sind Qualitäten, die man in Vorarlberg nicht oft geboten bekommt.

Speziell für „Texte und Töne 2014“ schuf David Helbock ein neues Werk namens „NightShift“, das seinem Namen alle Ehre machte. Das Ensemble Plus, besetzt mit Streichern und Holzbläsern, ergänzt durch ein Jazztrio (Doren Dinglinger und Anita Martinek, Violine; Andreas Ticozzi, Bratsche; Jessica Kuhn, Violoncello; und Marcus Huemer, Kontrabass; Anja Baldauf, Flöte; Martin Schelling, Klarinette; Matthew Smith, Fagott; Herbert Walser-Breuss, Trompete und Horn, Stefan Greussing, Drumset und Herwig Hammerl, Kontrabass) sowie David Helbock am Klavier spielten die Uraufführung. Bestechend war vor allem die Proportionierung der einzelnen Abschnitte. So wurden die Zuhörenden quer durch musikalische Felder geführt, die viel Raum für eigene Assoziationen zuließen. Mit impulsiv gestalteten Klangballungen setzten die Musikerinnen und Musiker viel Energie frei. Flirrende Gesten und changierende Klänge formten feinsinnig gestaltete Übergänge aus. Zwischen den mitreißend funkigen Rhythmen erklangen auch lyrische Balladen und sogar kitschig-rührselige Melodien wurden zelebriert. Das etwa 40-minütige Werk entfaltete sich in einem hervorragend aufeinander abgestimmten Wechselspiel zwischen Ruhe und Entspannung und fand begeisterte Zustimmung.

Lieder der Trauer


Ebenfalls zur Uraufführung gelangte der dreiteilige Liederzyklus „Petits histoires du malheur quotidien“ für Sopran, Flöte, Viola und Englischhorn von Thomas Thurnher. Unter der Leitung von Wladimir Rosinskij sang die Sopranistin Sabine Winter. Anja Baldauf (Fl.), Andreas Ticozzi (Va) und Ann-Christine Choi (Englischhorn) spielten den Instrumentalpart. Die Grundstimmung der Trauerlieder wurde durch die Klangfarbenkombination der drei Instrumente hervorragend unterstrichen. Ganz aus dem Text heraus entwickelt war die ausdrucksstarke melodische Linie. Sabine Winter faszinierte mit ihrer klaren Tongebung und ihrer ebenmäßig geführten Stimme. Im Vordergrund der Werkdeutung stand der intime, in sich gekehrte Charakter der Musik und nie eine lediglich aufgesetzte Emotionalität.

Drei neue Orchesterwerke


Das Symphonieorchester Vorarlberg unter Leitung von Ingo Ingensand präsentierte drei Kompositionen, darunter auch das neue Orchesterwerk „Libanon 12.7. bis 14.8.2006“ von Johannes Wohlgenannt-Zincke. In Wellenbewegungen entwickelte sich eine auf musikalischen Patterns beruhende Musik. Zuerst wirkte der musikalische Fluss filigran, dann kulminierte er in schubartig sich aufbäumenden Schwingungen. Der Duktus erinnerte an Filmmusik und imaginierte Bilder im Kopf. Ein schroffes Profil nahm die Musik mit den rhythmusbetonten Passagen im zweiten Abschnitt an. Abrupte Pausen sowie Tonschichtungen verwiesen auf den Werktitel, der in Erinnerung an den Libanonkrieg gewählt worden war. Am Ende eines offenen Schlusses stand ein sehnsuchtsvoller melodischer Gedanke, vorgetragen von der Oboe und der Flöte.

Energiegeladener Solist


Dem Violinkonzert von Wladimir Rosinskij verlieh der Solist Frank Stadler ein markantes Profil. Er musizierte enthusiastisch und virtuos die vielschichtig angelegten musikalischen Themen. Vor allem im Eröffnungssatz war fesselnd nachvollziehbar, wie der Solist und das Orchester um den Hegemonieanspruch rangen. Im langsamen Mittelsatz breitete das Streichorchester ein eher düsteres Fundament für den Solisten aus, Kommunikation fand kaum statt. Schließlich nahm das Orchester das Lamento der Sologeige auf und führte es in eine energisch tremolierende Klangfläche über. Der Finalsatz wirkte etwas zu sehr effektheischend, allerdings endete das Werk mit einem originellen Schluss.
Zuvor hatte das Ensemble Plus auch Rosinskijs Werk „Insel der Ruhe“ in Memoriam des Komponisten Eduard Marcaich erstmals gespielt.

Zweimal hören


Den meisten Diskussionsstoff bot die österreichische Erstaufführung des Werk „Puzzle II“ von Sonja Huber. Es wurde gleich zweimal gespielt, um die Intentionen der Komponistin transparent zu machen. Vor allem der Beginn der Komposition weckte eine große Erwartungshaltung und immer wieder lenkten einzelne Abschnitte die Aufmerksamkeit auf sich. Allerdings drifteten die einzelnen musikalischen Ereigniseinheiten ziemlich auseinander, sodass das Werk als Ganzes eher heterogen wirkte.

Im Rahmen eines Solorecitals hat Sonja Huber auch ihr Klavierwerk „Swift“ präsentiert, in dem sie jeder der 88 Tasten der Klaviatur einen eigenen Charakter zugeschrieben hatte.

Das Symphonieorchester Vorarlberg und Ingo Ingensand musizierten engagiert und nahmen Bezug auf die schwierigen akustischen Bedingungen im Publikumsstudio. So kamen die Inhalte der Werke gut zur Geltung. Ausdrücklich soll das Orchesterkonzert im Rahmen von „Texte und Töne“ Komponistinnen und Komponisten auch als Experimentierfeld dienen und stellt damit eine wertvolle Plattform dar.

Texte und Gespräche


Informative Gespräche führte Bettina Barnay mit den Komponisten, die alle beim Festival anwesend waren und den Diskurs mit den Zuhörern suchten. Allein diese Tatsache verlieh der gesamten Veranstaltung eine besondere Qualität. Um die gesamte Veranstaltung auf breite Beine zu stellen, besuchte Bettina Barnay im Vorfeld des Festivals eine Klasse der Mittelschule Markt in Hard. Einige Schüler kamen zu den „Texte und Töne“ und erzählten von ihren Gedanken beim Hören der Kompositionen. Zur Auflockerung war auch das Publikum eingeladen, Gedanken zum Werk von Sonja Huber abzugeben. Während der mehrstündigen Veranstaltung wurde viel Abwechslung geboten. Zwischen den Kurzkonzerten stellte Gabriele Bösch eigene Texte vor und Hubert Dragaschnig  las aus Texten von Kundeyt Surdum. Eindrücklich war der Auftritt von Stephan Alfare. Mit seiner ganz speziellen Art und seinen authentischen Texten sprach er die Zuhörenden unmittelbar an.

Ein nahezu unbekanntes Instrument


Am zweiten Festivaltag lud die Akademie St. Blasius unter der Leitung von Karl-Heinz Siessl zur Matinee. Das Spektrum ganz unterschiedlicher kompositorischer Ideen, Zugänge und Ausdruckswelten wurde bei diesem Konzert noch einmal erweitert, unter anderem mit dem Nonett von Franz Baur.

Besondere Aufmerksamkeit erregte das Konzert für Theremin und Orchester von Kalevi Aho, vor allem weil das elektronische Instrument in dieser Form hierzulande noch nie zu hören war. Das in den 1920er-Jahren entwickelte Theremin wandelt mittels elektromagnetischen Feldern Handbewegungen in Töne um. Caroline Eyck erklärte die Funktionsweise und bestach dann durch ihre beeindruckende Spielweise, in der sie die traditionell notierte Musik interpretierte.

Bereichert wurde die „Texte und Töne“-Matinee von den drei Autorinnen Yeliz Akkaya, Katharina Klein und Johanna Bernhard, die sich Gedanken zu Michael Floredos Werk „Nacht“ für Orgel gemacht hatten.

Persönlicher Kommentar


Das intensive Wochenende mit Musik und Literatur war inhaltlich und auch im Hinblick auf den Publikumszuspruch ein Erfolg. Viel wurde geboten und die lockere Atmosphäre hat zum Verweilen eingeladen. Derartige Veranstaltungen sind wichtig und wertvoll, um Kunstwerken, die in unserer Zeit und mitten unter uns entstehen, einen Raum zu geben. Unangemessen erscheint dabei das Geplänkel und Konkurrenzdenken zwischen journalistischen Medien, die auf Kosten der Künstler nicht Bericht erstatten. Und wo waren die Mitglieder der Kunstkommission, die über die Subventionierung neuer Werke entscheiden?

Bleibt zu hoffen, dass die für die Kultur Verantwortlichen im ORF - allen voran Jasmin Ölz und Bettina Barnay - in Zusammenarbeit mit dem Ensemble Plus und dem Symphonieorchester sowie Daniela Egger und Wolfgang Mörth von Literatur Vorarlberg einen langen Atem haben und auch im kommenden Jahr wieder einen Akzent im Kulturkalender des Jahres setzen.