Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Fritz Jurmann · 22. Apr 2013 · Musik

Wieder mehr Freude am Chorgesang – Benjamin Lack führt den Chor der IGP-Studenten am Konservatorium in einsame Höhen

Es ist seit langem ein offenes Geheimnis, dass das Pflichtfach „Chorgesang“ für IGP-Studenten am Landeskonservatorium vor allem für junge Burschen dort eine eher ungeliebte Aufgabe darstellt. Nicht jeder, der ein Instrument studiert, fühlt sich auch zum Sänger berufen. Auch wenn es pädagogisch durchaus sinnvoll scheint, über Erfahrungen mit der eigenen Stimme neue Möglichkeiten für das Instrumentalspiel auszuloten.

Entsprechend lustlos klang bis vor ein paar Jahren auch der Chor des Landeskonservatoriums, bis mit Markus Landerer und ab 2009 mit Benjamin Lack eine neue Ära begann, in der plötzlich alle mit Freude bei Chorsingen dabei waren. Weil Lack sie ganz einfach mit seiner Begeisterungsfähigkeit, seinem Charisma angesteckt hatte. Und genau diese Freude, diese Motivation war der entscheidende Impuls, der das traditionelle Chor-Orchesterkonzert am Sonntagabend zu einem besonderen Ereignis für die Besucher in der vollbesetzten Kapelle des Konservatoriums werden ließ.

Feldkircher Kammerchor als sichere Stütze


Da war über weite Strecken nichts mehr zu spüren von jenem Niveau, das man üblicherweise Studierenden zugesteht, obwohl der 60-köpfige Chor zu rund zwei Dritteln, das Orchester fast zur Gänze aus Studenten bestand. Mit einem kleinen Trick hatte Benjamin Lack dieses Ergebnis noch gefestigt: Er hatte dem Studentenchor einfach seinen 20-köpfigen Feldkircher Kammerchor als sichere Stütze zur Seite gestellt und damit die Schlagkraft des Chores nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ erhöht. Diese eine Stunde nun ist, ebenso wie der Choreinsatz bei der Barockoper „Dido und Aeneas“ am Landestheater im Vorjahr, ein starker Leistungsbeweis dafür, wie zielführend diese pädagogische Arbeit durch Benjamin Lack gewesen sein muss. Vereint mit der Erfahrung seiner Feldkircher Chor-Routiniers ergibt sich so rund um Lack als Zentralfigur eine wunderbare Einheit.

Immerhin geht es an diesem Abend um Mendelssohn und Bach, zwei Kaliber, die es den Chorsängern nie leicht gemacht haben. Und es geht um eine sehr sinnvolle thematische Verschränkung der beiden geistlichen Chorwerke, die die musikhistorische Beschlagenheit Lacks erneut deutlich macht. Die Verbindung zwischen beiden Komponisten ergibt sich bekanntermaßen allein dadurch, dass Mendelssohn sich zeitlebens mit Bachs Musik beschäftigt hat und ihm auch die bahnbrechende Wiederentdeckung und Neuaufführung der bis dahin vergessenen „Matthäuspassion“ zu danken ist.

Choralkantate wird zum Wahrheitsbeweis


Auch Mendelssohn eigene Choralkantate „Wer nur den lieben Gott lässt walten“, ein Trostlied nach der Dichtung von Georg Neumark 1641, atmet am Beginn des Abends in der Verarbeitung dieses Dauerbrenners im protestantischen Kirchengesang den Geist des großen Vorbildes Bach. Für den Chor wird die Aufführung dieser anspruchsvollen Kantate zum ersten Wahrheitsbeweis. Die Sängerinnen und Sänger reagieren hoch konzentriert auf Lacks mitreißendes Dirigat, gestalten klar, deutlich und transparent ihre weit gespannten Melodielinien. Stella-Maria Halamek erfüllt die Sopranarie mit schönem Ausdruck.

Der direkte Bezug zur folgenden gewichtigen Bach-Kantate Nr. 21, „Ich hatte viel Bekümmernis“, erfolgt über den erwähnten Choral, der sich im Schlussteil in einer dreistimmigen Fuge wieder findet, bei der Tenor und Sopran den cantus firmus, also die Melodielinie, singen. Das von Karin-Regina Florey als Konzertmeisterin angeführte, von Johannes Hämmerle an der Orgel als einzigen Lehrkräften unterstützte Orchester bietet präzise und einsatzfreudig die ideale Grundlage für die mühelose Entfaltung der vokalen Teile. Gleich in der einleitenden Sinfonia und in der Sopranarie gibt der junge Oboist Victor Marin Roman in exponierten Soli den Qualitätslevel vor. Federnd im Rhythmus, leichtgängig in den Koloraturen, deutlich in der Aussprache führt Lack seine Sänger überlegen durch ein Werk, das der 29-jährige Bach in fast opernhafter Manier zwar dem Zeitgeschmack angepasst, aber auch gerade hier nicht mit seiner berühmt-berüchtigten Kontrapunktik in den Fugen gespart hat.

Ungleichgewicht zwischen Solosopran und Bass


Die vier Solisten sind von recht unterschiedlicher Qualität. Während die Sopranistin Laura Mildner in ihrer Arie „Seufzer, Tränen, Kummer, Not“ mit schön geführter Stimme von noblen Qualitäten punktet, krankt der in barocker Manier wunderbar naiv komponierte Dialog „Komm, mein Jesu“ zwischen ihr als „Seele“ und „Jesus“ etwas am Ungleichgewicht mit dem Bassisten Hubert Dobl. Der Alt von Melanie Serafina Sigl bewährt sich im Ensemble, der Tenor Lukas Diblik hat dagegen den größten Part und besticht mit großer Überzeugungskraft und teils heftiger Erregung in der Arie „Bäche von gesalznen Zähren“ oder, zusammen mit der Solocellistin Anna Blanka Hamberger, in der Aria „Erfreue dich Seele, erfreue dich Herze“.

Die titelgebende „Bekümmernis“ wandelt sich zum Schluss in reine Freude und tiefes Gottvertrauen und kulminiert schließlich in einem rauschenden Finalsatz, „Das Lamm, das erwürget ist“, zu dem sich drei Trompeten und Pauken gesellen. Und ein Chor, der an Kraft und Dramatik ein letztes Mal über sich selbst hinauswächst. Von diesem Schlussteil gibt es für das begeisterte Publikum ein Dacapo.

Hörfunkwiedergabe: So, 28. April, 20.05 Uhr, Radio Vorarlberg