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Silvia Thurner · 03. Aug 2016 · Musik

Wissensvermittlung im Gewand einer Operette – Die Uraufführung „Staatsoperette - Die Austrotragödie“ im Rahmen der Bregenzer Festspiele war ein zwiespältiges Erlebnis

Mit großer Spannung wurde die Uraufführung der „Staatsoperette - Die Austrotragödie“ nach der Idee von Otto M. Zykan in der Bühnenfassung von Irene Suchy und Michael Mautner erwartet. In Erinnerung an den beispiellosen Medienskandal, den der Film von Franz Novotny und Otto M. Zykan ausgelöst hatte, standen zahlreiche Fragen im Raum. Welche Wirkung wird eine Bühnenfassung, in welcher der Austrofaschismus der Zwischenkriegszeit abgehandelt wird, in der Gegenwart haben? Wird die Trennung der Darsteller in reale Personen und Klappmaulpuppen funktionieren? Welche Rolle wird die von Zykan komponierte und Michael Mautner bearbeitete und ergänzte Musik im Gesamtkontext einnehmen? Kann sich die Doppelbödigkeit zwischen Handlung und Musik herauskristallisieren? Alle Sänger und Schauspieler sowie der Chor und die Musiker unter der Leitung von Walter Kobéra überzeugten mit ihrer Darstellungskraft. Facettenreich und bunt wirkte die Inszenierung von Simon Meusburger. Dennoch konnten die aufgeworfenen Fragen nach der Werkpräsentation auf der Werkstattbühne nicht mit eindeutiger Zustimmung beantwortet werden.

In zwei Akten und 15 Szenen schildert das Musiktheaterstück „Staatsoperette – Die Austrotragödie“ die Ereignisse zwischen 1919 - 1938, die bekanntlich in Österreich immer noch zu wenig aufgearbeitet worden sind. Schon Otto M. Zykan hatte eine Bühnenfassung des Films geplant, jedoch nicht mehr realisiert. Diese komplexe Aufgabe haben nun Irene Suchy und Michael Mautner übernommen. Sehr genau stellten sie in ihrer Bühnenfassung die historischen Geschehnisse nach. Sogar ein Kommentator (Stephan Rehm) wurde miteinbezogen. Unter anderem berichtete er über die Ereignisse um die Konfrontationen zwischen Heimwehr und Schutzbund, den Brand des Justizpalastes, die Ausschaltung des Parlaments, den Bürgerkrieg, die Ermordung von Dollfuß, die Rollen von Seipel, Mussolini und Schuschnigg. Zwei Frauen, die „Linke“ (Laura Schneiderhan) und die „Rechte“ (Barbara Pöltl) verkörperten mit ihren Dialogen die Alltagswelt und dienten als zusätzliche „Erklärungshilfen“.

Viel Wissensvermittlung


Dazwischen gelagert waren die handelnden Szenen. Zwar kam das wichtigste Anliegen des Stückes, dass alle in die Wirren verstrickten Personen vor lauter Hass und vorurteilsbehaftetem Lagerdenken den wahren Feind nicht erkannt haben, gut zum Ausdruck, allerdings wurden durch die allzu bemühte historische Wissensvermittlung die kreativen, fantasievollen, parodistischen und tragischen Spielebenen vor allem im ersten Drittel weitgehend in den Hintergrund gedrängt. So konnten sich die Wesensmerkmale, die wirklich gutes Musiktheater ausmachen – egal ob es Operette oder Singspiel oder sonst wie genannt wird – nicht so recht herauskristallisieren. Eine weitere, tiefgreifende Begleiterscheinung war, dass durch die Fülle an Fakten das emotionale Erleben hintangestellt wurde.

Puppen kamen nicht durchgängig zur Geltung


Mit den originellen Klappmaulpuppen von Nikolaus Habjan wurde eine Metaebene in die Erzählung eingeführt. Die Protagonisten Seipel, Dollfuß, Hitler, Mussolini und Schuschnigg agierten in ihren Rollen verdoppelt. Mit den Sängern Camillo dell’Antonio, Hagen Matzeit, Thomas Weinhappel sowie Dieter Kschwendt-Michel waren sie allesamt hervorragend besetzt. Die Puppen ermöglichten eine Spaltung zwischen der eher privaten Person und ihrer offiziellen Funktion. Diese zusätzliche semantische Ebene funktionierte über weite Strecken, jedoch nicht durchgängig. Besonders gut kam sie bei Mussolini zur Geltung. In diesen Szenen war die doppelbödige Ader des zugrundeliegenden Werkes erfahrbar. Ebenso gelang die Darstellung des kleinwüchsigen Engelbert Dollfuß, bei dem die Füße der Figur bedeutende Ausdrucksmöglichkeiten boten. Dieser Abschnitt löste mit dem Gesang des Countertenors Hagen Matzeit eine beklemmende Wirkung aus. Szenisch gut eingebettet war die Figur des Adolf Hitler. Sein Gegrunze wirkte platt.

Farbenreich und doppelbödig


Die Musik zur „Staatsoperette“, zusammengestellt aus Vorhandenem, Geborgtem und Entlehntem, zeigte die große Meisterschaft des Komponisten Otto M. Zykan auf und auch jene von Michael Mautner, der die aktuelle Fassung angefertigt hat. Zykan selbst betonte, ihm wäre es am liebsten, wenn die Zuhörenden den Eindruck gewinnen, dass seine Musik allesamt gestohlen sei. Und tatsächlich entfaltete sich ein Sammelsurium an Allusionen und Zitaten, wunderbar farbenreich instrumentiert und detailreich zum Text in Beziehung gestellt. So gelang es der Musik an zahlreichen Stellen, eine ironische Distanz auszuformen oder eine zusätzliche Betrachtungsebene einzubauen. Hier zeigte sich der „Fuchs“ Otto M. Zykan, denn wer die zahlreichen musikalischen Zitate zuordnen konnte und beispielsweise zugrundeliegende Lieder und deren Texte kannte, erhielt höchst geistreiche Winke. Überdies belebten die illustrativen Akzente des großen Perkussionsapparates das Werk. Walter Kobéra, das Amadeus Ensemble Wien sowie der Wiener Kammerchor (Michael Grohotolsky, Chorleitung) begeisterten mit ihrer niveauvollen Interpretation. Auch der Bariton Marco Di Sapia füllte seine drei Rollen hervorragend aus.

Facettenreiche Inszenierung


Simon Meusburger inszenierte die Staatsoperette mit vielen Querverweisen und Anspielungen. Originelle Fingerzeige auf die nicht nur physische Kleinheit der handelnden Personen stellten die überdimensionalen Türschwellen und das viel zu hoch gesetzte Telefon dar. Ob die projizierten Karikaturen und Strichzeichnungen die bereits kritisierte, allzu didaktische Aufbereitung zusätzlich verstärkt haben, soll dahingestellt bleiben.

Nachlassverwalterin mit viel Herz und Verstand


Irene Suchy, die Witwe von Otto M. Zykan und Nachlassverwalterin, leistet mit ihrer unermüdlichen Arbeit für das kompositorische Schaffen des originären Komponisten Otto M. Zykan unschätzbare Dienste. Mit dieser Bühnenfassung der „Staatsoperette - Die Austrotragödie“ schließt sich ein Kreis. Wichtig und letztlich charakterisierend für die Bühnenfassung ist der Untertitel „Die Austrotragödie“. Sie bestimmte nämlich die Wesenszüge dieser Bühnenfassung viel mehr als das operettenhaft, parodistische Moment des Films.