"Rickerl – Musik is höchstens a Hobby" derzeit in den Vorarlberger Kinos (Foto: 2010 Entertainment / Giganten Film)
Peter Füssl · 06. Nov 2014 · Tanz

Edmund Kalb künstlerisch in die Jetztzeit transformiert – Günter Marinelli zeigte beim tanz ist Festival seine Performance „ENTkalben“

Der 1952 im Alter von gerade einmal 52 Jahren verstorbene Ausnahmekünstler Edmund Kalb konnte sich in seiner Heimatstadt Dornbirn Zeit seines Lebens nicht so viel positiver Aufmerksamkeit erfreuen wie in den vergangenen Monaten. So setzt sich ein auf Initiative von Ulrich Gabriel und Rudolf Sagmeister gegründeter Kulturverein für die Erhaltung und sinnvolle Nutzung seiner Wohn- und Wirkungsstätte in der Schillerstraße ein, und bei Unartproduktion erschien dieser Tage ein 216 Seiten starkes und mit 150 Bildern gespicktes, höchst informatives und spannend zu lesendes Buch zum „Leben und Werk“ Edmund Kalbs. Ganz anders, aber nicht weniger spannend ist der künstlerische Zugang, den Tänzer, Performer und tanz ist Festival-Mastermind Günter Marinelli in seiner erstmals 2002 aufgeführten und nun neu adaptierten Produktion „ENTkalben“ zu Edmund Kalb gefunden hat, den man zu seiner Zeit schlicht als „Spinner“ abgetan hat, wie eine Zeitzeugin nach der Aufführung erklärte.

Atmosphäre der Enge, der Bedrängnis und der Zwanghaftigkeit


Um seine Assoziationen zu Edmund Kalb in klare und einfache Bilder zu gießen, setzt Günter Marinelli nicht auf große Effekte, vielmehr sind es seine äußerst sparsamen Bewegungen in einer ziemlich reduzierten Bühnenlandschaft, die wirken. Sie fahren direkt durchs Auge tief in die Magengrube, so wie es die dramaturgisch geschickt eingesetzten Sounds durch die Gehörgänge machen – egal, ob perfekt intonierte Chorversion eines Vorarlberger Heimatliedes oder elektronische verfremdete Noise-Attacke. Damit schafft Marinelli eine bedrohliche Atmosphäre der Enge, der Bedrängnis und der Zwanghaftigkeit. Der Kopf, ein Luftballon, der aufgeblasen wird und wieder zusammenschrumpelt, schwarz fließt das Blut über das schräg gehaltene Selbstportrait des Künstlers. Mit den Füßen in einer feindlich eingestellten Umwelt angewurzelt, wird Wanken und Schwanken die einzig mögliche Bewegung. Missverstanden, ignoriert, verspottet und vom Lebensschmerz zerfressen zu werden, und dennoch kompromisslos und klar in der Haltung zu bleiben, statt wie der Vater hübsche und leicht zu verkaufende Wappenbilder zu malen, sich ohne künstlerische Zugeständnisse konsequent jenseits des Mainstreams zu bewegen – das ist die wahre Kunst des Edmund Kalb.

Verschränkung der Charaktere


Und hier verschränken sich wohl auch die beiden Charaktere – jener des Portraitierten, der sich selber ungezählte Male portraitiert hat, mit dem des Performers. Denn auch Günter Marinelli setzt sich seit 20 Jahren mit gleichermaßen bewundernswerter wie unbeugsamer Beharrlichkeit für seine Vorstellung eines zeitgemäßen Tanz-Festivals ein, überwindet bürokratische und budgetäre Hürden und die inneren und äußeren Dämonen, die einen Querdenker und Künstler mit konsequent verfolgten Visionen quälen. Nie hat er den Verlockungen, die etwas konformere und leichter zu konsumierende Produktionen verheißen hätten, nachgegeben, auch wenn Ignoranz und Geringschätzung schmerzten. Deshalb ist es sehr passend und glaubwürdig, dass gerade Günter Marinelli sich mit der Persönlichkeit Edmund Kalbs künstlerisch auseinandersetzt. Sein „ENTkalben“ wird dem Künstler gerecht, während andere noch zwanzig Jahre nach dessen Tod „ENTkalbten“, indem sie unzählige seiner Aktzeichnungen aus ekelhafter Prüderie und Bigotterie verbrannten.

„Es gibt eine natürliche Verbundenheit,“ erklärte mir Günter Marinelli im Interview: „Das liegt einerseits an unseren gemeinsamen Wurzeln – dem Herauswachsen aus einem bäuerlich geprägten Milieu – und andrerseits an der intensiven Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst auf verschiedenen Ebenen. Damit ist man automatisch im Clinch mit der Gleichmacherei, die für die Ausübung der Macht essentiell ist. Faszinierend für mich sind seine gezeichneten und gemalten Gesichter und deren Ausdruck von Lebensschmerz, den ich mit meinem Körper zu erfassen versuche. Und so viel hat sich seit Kalbs Zeiten ja nicht verändert. Die Tünche ist zwar etwas vielfältiger und bunter geworden, aber wenn man am pseudomodernen Anstrich kratzt, kommt recht schnell wieder die Repression zum Vorschein.“

Unübersehbar und positiv zu vermerken ist allerdings, dass das Publikumsinteresse am tanz ist Festival von Jahr zu Jahr wächst. Vielleicht setzt sich ja doch einmal die Qualität durch.

 

tanz ist Festival „HOMELAND“

Rudi van der Merwe
„Celestial Spunk“
Sa, 8.11., 20.30 Uhr

Spielboden Dornbirn

www.spielboden.at
www.tanzist.at