Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Peter Füssl · 22. Mär 2014 · Tanz

Poetisch, magisch, virtuos – Akram Khan verzaubert zum Auftakt des Bregenzer Frühlings das Festspielhaus

Einen besseren Auftakt als Akram Khans 80-minütige Soloperformance „Desh“ hätte man sich für das renommierte Tanzfestival nicht wünschen können. Die eindrucksvolle und äußerst abwechslungsreiche Identitätssuche, die den 39-jährigen englischen Tänzer und Choreographen Akram Khan im Spannungsfeld zwischen seiner westlichen Alltags- und Erfahrungswelt und der ihm vielfach fremden Welt seiner Vorfahren in Bangladesch zeigt, ist nicht nur eine exzellente multimediale Tanz/Theater-Performance, sondern hat – neben intellektuellen und ästhetischen Reizen ohne Ende – auch noch menschliche Wärme, Witz und Charme.

Pilgerfahrt in eine fremde Heimat

Als Jugendlicher interessierte sich der tanzbegeisterte Londoner eher für Michael Jackson als für die Geschichte und die Geschichten seines Vaters, eines bengalischen Kochs. Als der begeistert von einem eigenen kleinen, grasbewachsenen Stück Land in der fernen Heimat schwärmt, stutzt der Großstadtbengel nur, weil er hofft, es könnte sich um Gras zum Rauchen handeln. Dennoch bringt es Akram Khan im traditionellen indischen Kathak-Tanz zur Meisterschaft, ehe er sich auch mit den zeitgenössischen Tanzformen des Westens gründlich auseinandersetzt. „Desh“ bedeutet auf Bengali soviel wie „Heimat“, und das ist es, wonach der Tänzer und Choreograph in seiner  2011 uraufgeführten gleichnamigen Solo-Performance sucht. Im ersten Bild präsentiert er sich als Pilger, der sich auf eine irrwitzige Abenteuerfahrt durch seine Familiengeschichte und durch bengalische Märchen und Mythen begibt, wobei immer wieder das ganz Persönliche mit dem Großen und Ganzen verwoben wird, die Identitätsfindung des zwischen Ost und West aufgesplitterten Menschen und zugleich auch, wenn auch nicht extra deklariert, jene des seit seiner Gründung ums nackte Überleben kämpfenden Staates Bangladesch.

Von Eltern und Kindern

Akram Khan lässt seinen Vater sogar bildhaft auf der Bühne erscheinen, indem er sich ein stilisiertes Gesicht auf seine Glatze malt und dieses beinahe wie eine Puppe zum Leben erweckt. Diese äußerst witzige und perfekt umgesetzte Idee ermöglicht es dem Solisten in einen Diskurs zu treten, den er dann mit umgekehrten Vorzeichen selber auch mit seiner kleinen Nichte führen muss, die sich vorerst prompt mehr für Lady Gaga als für seine Geschichten zu interessieren scheint. Akram Khan beherrscht die Kunst, nichtexistente Personen durch geschickt inszenierte, gestische und sprachliche Kommunikation zum Leben zu erwecken – eine schauspielerische Glanzleistung, die ebenso wie seine Tanzsprache in der Kathak-Tradition begründet ist. Als Tänzer vollführt er seine Bewegungen in einem unglaublichen Tempo und in einer atemberaubenden Exaktheit, wirbelt gleichermaßen akrobatisch wie elegant durch die bunte Szenerie und scheint mitunter den Gesetzen der Schwerkraft ein Schnippchen zu schlagen. Selbst das pantomimisch dargestellte Gemüseschneiden wird bei ihm zum Erlebnis.

Licht, Sound und Bühnenbild als ideale Spielpartner

Solo muss noch lange nicht allein heißen. Akram Khan hat sich ausgewiesene Meister ihres Fachs geholt, um „Desh“ zu einem wirklich alle Sinne ansprechenden Erlebnis werden zu lassen. Jocelyn Pook mischt für ihren prall bunten und intensiven Soundscore bengalische Folklore mit westlichen „Hallelujahs“, Straßenlärm aus London und Dhaka mit Industrielärm und Naturgeräuschen. Die surreale Bühnenwelt, von Oscar-Preisträger Tim Yip entworfen, ist der ideale Schauplatz für dieses Wechselspiel zwischen Traum und Wirklichkeit. Ein Glanzstück ist der Animationsfilm der Yeast Culture Company, der auf eine transparente, die gesamte Bühne einnehmende Riesenleinwand geworfen Krokodile und Elefanten, die Baumgiganten des Urwalds, gigantische Fluten und extreme Winde in Form einfacher Strichzeichnungen zum Leben erweckt. Wie sich Akram Khan nahtlos in diese gezeichnete Welt einfügt, war schlicht atemberaubend. Ein wesentlicher Bestandteil dieses außerordentlichen Settings ist aber auch das ausgeklügelte und perfekte Lichtdesign von Michael Hull, das die wunderbaren Effekte erst ermöglicht und intensiviert. Besonders eindrucksvoll etwa auch bei einem bühnenhohen, aus beweglichen Stoffbahnen bestehenden, mehrschichtigen Vorhang, der den Monsun versinnbildlicht und zu einem weiteren Tummelplatz für den wunderbaren Tänzer wird. Keine Frage, der Aufwand lohnt sich. Vergangenheit und Gegenwart, Vater und Sohn, Ost und West werden versöhnt. Oder – zeitgemäßer ausgedrückt: Akram Khan ruft mehrmals den technischen Support zu Hilfe, weil seine iPhone-Verbindung nicht richtig funktioniert. „I don’t know where I’m supposed to be“ heißt es jedes Mal, bis am Schluss das erlösende „I know where I am“ zu hören ist.

Tobender Applaus für eine unglaubliche Leistung!

Weitere Termine:

29.3. Hofesh Shechter Company
26.4. Eastman/Sidi Larbi Cherkaoui
3.5. Nederlands Dans Theater 2
23.5. Ultima Vez/Wim Vandekeybus

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