Bissiger als jeder Hund – Projekttheater zeigt Dea Lohers „Der dritte Sektor“ unter dem Titel „Anna und Martha“
Wie nahe befreiendes Lachen und Traurigkeit beieinander liegen können, zeigt uns das Projekttheater mit seiner neuesten Produktion, die am Samstag im vollbesetzen Alten Hallenbad in Feldkirch erfolgreich Premiere feierte. Das Stück „Der dritte Sektor“ von Dea Loher, 2001 am Thalia Theater in Hamburg unter der Regie von Dimiter Gotscheff uraufgeführt, wurde im selben Jahr und identer Inszenierung bereits im Bregenzer Festspielhaus gespielt. Dea Loher, 1964 in Bayern geboren, gehört zu Deutschlands meistgespielten und -geehrten Dramatikerinnen. Ihre Stücke sind melancholisch, erzählen von traurigen Schicksalen am Rande der Gesellschaft und lassen trotz allem oder gerade deshalb eine ordentliche Portion Humor zu.
Das Projekttheater besetzt das Vier-Personen-Stück mit zwei Schauspielerinnen und benennt es nach den beiden Hauptfiguren: „Anna und Martha“, alias Martina Spitzer und Maria Hofstätter, die mit ihren Figuren nicht zum ersten Mal beweisen, dass sie ein absolutes Dream Team bilden. Zwei volle Stunden lang verstehen sie es, die Zuschauer in ihren Bann zu ziehen.
Grandiose Schauspielerinnen
Allein wie Maria Hofstätter ein Bonbon auspackt, sich in den Mund steckt, daran lutscht, das Papierchen akkurat zusammenfaltet und einsteckt, ist eine begeisternde Studie – ebenso wie die verschiedenen Gesichter, die Martina Spitzer dem Zuschauer schenkt. Zwei großartige Schauspielerinnen, die sich in der Regie von Susanne Lietzow eindrucksvoll entfalten und alle Register ziehen. Zumal die beiden Schauspielerinnen bei der Premiere, durch eine Erkältung und der Schonung ihrer Stimmbänder geschuldet, ein wenig eingebremst wurden. Man vermag sich kaum vorzustellen, was abgeht, wenn die beiden Damen voll auf dem Damm sind.
Anna, die seh- und hörgeschädigte Schneiderin, und Martha, die Köchin mit einer kaputten Hüfte, sind Dienstboten, die darauf warten, dass ihre böse Herrin, die sie in eine Tiefkühltruhe eingesperrt haben, endlich das Zeitliche segnet. Doch die Alte ist zäh: „Je bösartiger, desto länger leben sie.“ Zwei weitere Bedienstete vegetieren im selben Hause, der Chauffeur Ludwig Meier (eine von Maria Hofstätter geführte Puppe), der mehr seinem Hund gleicht, als sich selbst und die Putzfrau Xana (Martina Spitzer), die devot und geduldig alle Bosheiten über sich ergehen lässt.
Stimmige Ausstattung
Zwei köstliche Kurzfilme, schwarzweiß in Stummfilmmanier von Petra Zöpnek, eröffnen und beschließen den Theaterabend. Die Ausstattung von Maria Luise Lichtenthal unterstützt die Tristesse der Situation – Plastikfolie, die Baustellenflair impliziert und die Farben auf braun und beige reduziert.
Fetzen sich mit Worten und Taten
Anna und Martha sehnen das Ableben der Herrin herbei und dennoch spürt man gleichzeitig und hautnah ihre Angst vor dem „Danach“. Anna und Martha brauchen sich wie die Luft zum Atmen, sind sich bis in die Haarspitzen vertraut und doch blitzt nur in ganz wenigen und kurzen Momenten so etwas wie Solidarität auf. Die erlittenen Erniedrigungen und Beschimpfungen geben sie voller Inbrunst aneinander weiter, treten gegen sich an, verletzen sich, geifern, schreien, fetzen sich mit Worten und Taten und fühlen sich doch nur für Augenblicke befreit.
Regisseurin vertraut dem Text
Immer wieder ist es zum Brüllen komisch, wenn die beiden vor Bosheit Funken sprühen und dann – im nächsten Moment – wiederum tieftraurig, wie die zwei in Erinnerungen schwelgen und den nicht erfüllten Träumen nachweinen. Die Inszenierung von Susanne Lietzow schöpft diesen emotionalen Reigen, der zwischendurch auch ordentlich an den Nerven zerrt, voll aus. Auch dort, wo er Längen hat, vertraut Regisseurin Lietzow dem Text von Dea Loher völlig. Ihre Figurenführung ist äußerst genau und durchdacht und der Ablauf des gestischen Spiels akkurat gegliedert. Das alles erzeugt eine Intensität, der man sich am Ende nur schwer entziehen kann. Bravo!!