Neu in den Kinos: "Die Unschuld" (Foto: Wild Bunch Germany/Plaion Pictures)
Peter Niedermair · 06. Mai 2011 · Theater

MACHT SCHULE THEATER

Gestern Abend war ich im Theater. In der Alten Maggi Fabrik in Bregenz in „UTOPIA – Heute schon eine Revolution angezettelt?“, einem Theaterstück zum Thema Gewalt und Selbstachtung junger Menschen. Das Stück wurde von jugendlichen SchülerInnen aus Bregenz gemeinsam mit Brigitte Walk, die Regie führt, und Daniela Egger, die eine Schreibwerkstatt dazu eingerichtet hatte, in den letzten sechs Monaten erarbeitet. Ausstattung Ursula N. Mueller. Und es ist mehr als beachtlich, was man in den bis dato ausverkauft besuchten Vorstellungen zu sehen und hören bekommt. Noch gibt es Gelegenheit, diese Inszenierung ebenso wie zwei andere, die in derselben Initiative entstanden sind, in den kommenden Tagen zu sehen, in der Alten Maggi in Bregenz, im Theater für Vorarlberg und im Theater am Saumarkt in Feldkirch. Näheres zu den Aufführungen am Ende dieses Beitrags.

Auftraggeber dieser bundesweiten Theaterinitiative ist das Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur, gemeinsam mit KulturKontakt Austria und dem DSCHUNGEL Wien. Ziel ist die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema Gewalt und Gewaltprävention sowohl von Seiten der bei den Produktionen mitwirkenden Schülerinnen und Schüler als auch von Seiten des jugendlichen Publikums. Macht|schule|theater ist im Schuljahr 2010/2011Leitprojekt der Initiative des BMUKK für kulturelle Bildung an Schulen „Kunst macht Schule“ und Teilprojekt der Initiative des BMUKK „Weiße Feder – Gemeinsam für Fairness und gegen Gewalt“. Durch die Abhaltung von Dialogveranstaltungen zu „Partizipation und Zivilcourage“ ist Macht|schule|theater außerdem in die regionale Vernetzung der „Weißen Feder“ und in die „Aktionstage Politische Bildung“ eingebunden. http://www.machtschuletheater.at

Bundesweite Theaterinitiative Macht|schule|theater im Schuljahr 2010/2011

Eine Jury hat Anfang Juli 2010 folgende 17 Theaterhäuser aus den Einreichungen für die bundesweite Theaterinitiative Macht|schule|theater im Schuljahr 2010/2011 ausgewählt: Offenes Haus Oberwart, neue bühne villach, szene bunte wähne in Horn, AKKU-Kulturzentrum in Steyr, bühne 04 und theaternyx in Linz, Schauspielhaus Salzburg, kleines theater salzburg, Lungauer Kulturverein in Tamsweg, Theater am Ortweinplatz und Mezzanin Theater in Graz, Westbahntheater Innsbruck, Vorarlberger Landestheater, walk-tanztheater.com und Theater am Saumarkt in Feldkirch, Schauspielhaus Wien und DSCHUNGEL Wien.

Die von der Jury ausgewählten Theater werden mit SchülerInnen (ab der 6. Schulstufe) von mindestens zwei Schulen unterschiedlicher Schularten zu Themen wie zum Beispiel Cybermobbing, neue Medien, soziale Netzwerke, Ausgrenzung, Konkurrenz etc. zusammenarbeiten.

“Gemeinsam für Fairness und gegen Gewalt”

Das Kooperationsprojekt “Macht|schule|theater”, das seit dem Schuljahr 2008/09 Theatermacher und Bildungseinrichtungen vereint, um gemeinsame Produktionen auf die Bühne zu stellen, geht in die mittlerweile dritte Saison. Bis zum 13. Mai 2011 werden 17 Theaterstücke in ganz Österreich inszeniert werden. Für die in Summe projektierten 135 Aufführungen haben sich 580 Schüler aus 45 Schulen engagiert.

Bei der Initiative arbeiten die professionellen Theaterhäuser mit Schülern von jeweils mindestens zwei Schulen verschiedener Schultypen zusammen. Entstanden sind zehn große Theaterproduktionen und sieben kleinere Work in Progress-Projekte. Das übergeordnete Thema der heurigen Saison lautete “Gemeinsam für Fairness und gegen Gewalt”.

Entsprechend drehen sich die meisten Produktionen um Grundthemen wie die Frage, wer Teil einer Gemeinschaft ist und wer die entsprechenden Grenzen zieht – was Titel wie “Macht und Ohnmacht”, “Alle unter einem Dach” oder “Was wir teilen. Was uns trennt” bereits andeuten. Ebenso spielen die Gewalt und das Internet wie bei “Fall Netz” in vielen Stücken eine entscheidende Rolle. Aber auch das Erwachsenwerden in Zeiten des Gendermainstreamings kommt zur Sprache, so etwa in “Wenn (m)ein Herz lauter schreit als mein Mund brüllt”.

In Vorarlberg:

UTOPIA  // MOB-PING-PONG // WORT – GEWALT

Alte Maggi Bregenz // Theater am Saumarkt Feldkirch // Vorarlberger Landestheater

Die Projekte, die in Vorarlberg stattfinden, sind beachtlich. Das Engagement junger Leute, im Wesentlichen SchülerInnen ganz verschiedener Schultypen, die sonst nicht unbedingt zusammen treffen, ist absolut bewundernswert. Hier wird deutlich, wie sehr junge Menschen, ganz abseits davon, ob Schule interessant oder langweilig ist, in ihrer freien Zeit sich in Themen einlassen, die sie selbsttätig bearbeiten und in einer entsprechenden Bühnenversion zur Darstellung bringen. „Utopia“ – das Stück in der Alten Maggi in Bregenz, zum Beispiel, ist etwas mehr als eine Stunde lang absolut fesselnd. Die jungen Menschen brillieren – durch die Bank - mit einer beachtlichen schauspielerischen Leistung, die Texte sind im Kern auf das Wesentliche reduziert. Kein Wort zu viel, keines zu wenig. Utopia ist so etwas wie eine Reportage darüber, wie sich junge Leute Leben in einer anderen Welt vorstellen. Der notwendige Gang nach Utopia wird klar motiviert und collageartig, szenisch gut verständlich inszeniert.

Erste Szene: Rap Clara

„Kann mir bitte jemand sagen, wie ich hier raus komme/ ich muss hier weg weil ich keine Luft mehr bekomme/ ich will einfach abhauen in eine andere Welt / da leben die Leute friedlich und du brauchst auch kein Geld / das gibts wirklich es ist in der Nähe komm mit / wir trauen uns und machen den 1. Schritt / das Leben hier macht einfach keinen Sinn/ jeder schauspielert oder weißt du wer ich bin? / ich hab auch keinen Bock mehr auf falsche Freunde / Partys, Drogen, Krass hier platzen Träume/ in dieser Welt bist du mit 17 schon alt / alle Probleme löst man mit Gewalt / keiner hat den Mut er selbst zu sein / alle belügen dich jeder wird zum Schwein/ und seid ihr nicht müde vor lauter Krieg / es wird gemobbt und getreten bis man am Boden liegt / los komm mit mir wir gehen von hier fort / wir fangen neu an, an einem besseren Ort/ Refrain: Kommt mit steht auf wir müssen was ändern.“

Aus der Welt in Utopia selbst wird dann die Perspektive der jungen Menschen mit spielerischer Lust und Leichtigkeit, mit Ernst aber ohne Pathos, quasi als Antithese zur bestehenden, vorgefundenen Welt gespiegelt. Und darüber, wie diese andere Welt, diese in deren Augen bessere Welt aussieht - sag‘ niemand mehr, „die Jungen“ interessierten sich nicht für gesellschaftliche und politische Themen – haben sie glasklare Vorstellungen: Vom wertschätzenden empathischen Umgang miteinander, von Respekt und Achtung, von der Schaffung einer gewaltarmen Welt, im Detail vor allem in der Schule und in der Familie. Die Prinzipien dieser utopischen Formel sind klar konturiert. In der 5. Szene sagt die Stewardess: „Die Freiheit jedes Menschen ist oberstes Gebot. Sie dürfen nur noch Dinge tun, die Ihnen Spaß machen. Sie dürfen andere Menschen nicht unter Druck setzen oder verletzen. Sie sind eingeladen, jederzeit alles zu nehmen was Sie brauchen. Schmeißen Sie Ihre Geldscheine in den dafür vorgesehenen Raum. Für Reisen in die alte Welt nehmen Sie sich so viel Geld aus diesem Raum mit wie Sie möchten. Bitte verstehen Sie, dass unsere Welt darauf beruht, dass jeder Mensch die volle Verantwortung für sein Handeln und auch sein Denken übernimmt.“

„Trau dich hab Mut und komm mit mir mit / Wir verändern die Welt und machen den ersten Schritt.“ – aus Claras Rap, 9. Szene.

Die textlich-sprachliche Ebene ist eingebettet in einer ganz speziell für dieses Stück entwickelten Ästhetik. Während der halbjährigen Erarbeitung des Stücks mit den Jugendlichen gab es ein mehrtägiges Styling, Fotoshooting und Filmen in zwei unbewohnten Wohnungen in Bregenz-Vorkloster. Die dort entstandenen, faszinierenden Bilder, die Outfits und Filmsequenzen bilden die Basis des projizierten Bildmaterials im Stück. In der Maggi, einer ausrangierten Fabrikhalle, die noch in diesem Jahr abgerissen wird, wurde in der Regie von Brigitte Walk sowie durch ganz spezielle Lichtinszenierungen sehr eigenwillige, surreale Stimmungen hergestellt, die allesamt der Idee nachspüren, wie eine andere Lebensform aussehen könnte.

Im Epilog sagt Clara:

„Was für Träume? Was für eine Zukunft? Ich hab nichts... und schon gar keine Pläne. Mir ist alles egal, ich hänge so rum. Seit der Scheidung meiner Eltern ist alles schief gelaufen. Der einzige Halt war meine Freundin Fabienne. Nur... sie nahm mich mit zu Partys, und da gab es Drogen und alles.... Ich wünschte ich hätte jemanden, der sich um mich kümmert, denn wenn ich heimkomme wird nur geschrien, dort will ich nicht mehr hin. Hätte meine Mutter nicht so viel Stress, wäre alles einfacher. Sie hätte Zeit für mich, und es wäre wohl auch nicht so weit gekommen. Und ich wünsche mir Freunde. Freunde auf die man sich wirklich verlassen kann..! Das wäre jetzt das Wichtigste. Es gibt so unglaublich verwöhnte Menschen, das ist nicht zu fassen! Dann wollen sie etwas, und wenn sie es haben ist es nicht mehr gut genug, und sie wollen wieder was Neues, und das Leben dreht sich nur um sie, sie und nochmals sie. Denen würde ich zeigen, dass es wichtigeres gibt... Es geht nur darum, wer mehr hat, wer mehr ausgeben kann, wer mehr für sein Geld bekommt. Und die Aufteilung von Geld auf der Welt? Soll das gerecht sein? Und dann diese Menschen, die die ganze Zeit auf heile Welt machen, und nicht mal merken was für Scheiße vor ihren Augen passiert, sie schauen weg, weil sie nichts damit zu tun haben wollen! Und die Politiker auch, ich glaube, die setzen die Welt in den Sand, und keiner hält sie auf. Dafür gibt es für uns überall beschissene Regeln, wohin man schaut, alles ist geregelt, weil die Leute nicht selbst die Verantwortung tragen. Wenn man Auto fährt, oder Moped, oder sogar beim Fahrrad, überall muss man eine Prüfung ablegen. Um Politiker zu werden muss man keine Prüfung ablegen. Und ich soll in die Schule gehen - phhh solange es keine Lehrer gibt, die wenigstens gerne mit Jugendlichen zusammen sind. Das wäre eine Prüfung für die Lehrer: ob sie eigentlich Jugendliche gerne mögen. Stattdessen lassen sie ihren Ärger an den Schülern aus. Dann nimmst du dir vor dich zu bessern, mehr aufzupassen und so weiter, und der Lehrer kommt rein und nimmt dir denn ganzen Mut wieder indem er dich von Anfang an fertig macht. Er sagt einfach: Das schaffst du eh nicht, bei deiner Mitarbeit... Und du denkst dir .. Scheiße was mach ich noch hier. Ich selber bin natürlich auch einfach nur dumm! Jetzt frage ich mich wirklich - wieso nehme ich das alles immer so hin? So wie es ist, ist es, oder wie? Ich hab mich nie getraut etwas zu ändern, und jetzt sehe ich erst richtig wie viel es zu tun gäbe. Ich glaube alle denken sich, es hilft sowieso nichts, und was sollte man auch schon als einzelner Mensch ausrichten können? Ich glaube, man kann auch als einzelne Person viele zum Mitmachen bewegen! Und dann muss ich doch was ändern, oder nicht?“

Am meisten fasziniert haben mich die jungen SchauspielerInnen. Schräg und schrill, verletzbar und filigran, unsicher und mutig, alles in einem. Mit kräftigen Stimmen. Schrägen Kostümen. Und sehenswerten Bildern. Am Ende der Aufführung habe ich noch mit ein paar Erwachsenen über das Stück geredet. Nicht nur, weil die Enkel gespielt haben, sagten sie, seien sie begeistert. Sondern weil die Botschaft so klar sei. Ich habe mir gedacht, es ist ja auch eine Frage, was wir Erwachsene jungen Leuten zutrauen und dann erwarten. Und die können ganz schön viel. Wenn sie sich gefordert fühlen. Chapeau, chapeau.

Weitere Aufführungen

„UTOPIA: 6. / 7. / 8. Mai, jeweils 19.30 Uhr im Maggi Areal, Brosswaldengasse 16, Bregenz. Karten sind erhältlich bei allen V-ticket Verkaufsstellen und bei office@v-ticket.at oder Telefon 05574-4080

Am Saumarkt: "MOB-PING-PONG" Mit SchülerInnen des BG und BORG, Schillerstraße & NMS Institut Sankt Josef, Feldkirch: Eine Collage aus Texten, Bildern, Liedern, Geschichten und Szenen rund ums Mobben und gemobbt werden. Schultheater: Barbara Tschugmell und Paul Sandholzer / Regie: Sabine Wöllgens / Schreibwerkstatt: Erika Kronabitter / Video: Petra Sattler. Weitere Aufführungen: Sa. 7. Mai 2011, 19.00 Uhr, Theater am Saumarkt / Schulaufführungen: Mo. 9., Di. 10., Mi. 11. Mai 2011, jeweils 10.00 Uhr. Karten unter: 05522-72895 und office@saumarkt.at

Am Theater für Vorarlberg: WORT – GEWALT
Mit SchülerInnen der Neuen Mittelschule und des BORG Lauterach; Freitag 6. und Samstag 7.Mai 2011, jeweils 17 Uhr; Regie: Friedhelm Kändler / Bühne und Kostüme: Julia Kopa / Projektorganisation: Nina Kogler. Karten unter 05574-42870-600. ticket@landestheater.org