Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Silvia Thurner · 26. Jän 2015 ·

Werkdeutungen, die das Innere nach außen kehrten – Die Wiener Symphoniker unter der Leitung von Jukka-Pekka Saraste und die Flötistin Marina Piccinini boten ein faszinierendes Meisterkonzert

Hierzulande kennt man die Wiener Symphoniker als gediegener und langjähriger Partner der Bregenzer Festspiele. Im Rahmen ihrer Österreichreise gastierte das Orchester mit Werken von Sibelius, Nielsen und Tschaikowsky bei den Bregenzer Meisterkonzerten im Festspielhaus. Das Konzerterlebnis war erfrischend und überraschend zugleich, denn so präsent und energiegeladen war das renommierte Orchester schon lange nicht mehr zu erleben. Elegant leitete der finnische Dirigent Jukka-Pekka Saraste das Orchester. Vor allem Carl Nielsens Flötenkonzert mit der hervorragenden Solistin Marina Piccinini war ein Ereignis der Sonderklasse.

Die Werke des dänischen Komponist Carl August Nielsen sind leider nur selten in den herkömmlichen Konzertprogrammen vertreten. Umso erfreulicher war die Aufführung seines Flötenkonzertes mit der Solistin Marina Piccinini. Zusammen mit den Wiener Symphonikern und Jukka-Pekka Saraste erklang eine Werkdeutung, die Staunen machte. Vom ersten bis zum letzten Ton lag in diesem höchst anregenden Konzert eine Spannung, die die Virtuosität aller Beteiligter eindrucksvoll unter Beweis stellte.

Enorme Vielfalt an Tonqualitäten


Die vielgestaltigen, sich ständig veränderten Themen formte Marina Piccinini mit unterschiedlichsten Tongebungen und Tonqualitäten auf ihrer Flöte. Dass sie mit der Aufführung neuer Musik viel Erfahrung hat, war aus ihrem variantenreichen Klangfarbenspektrum unmittelbar nachvollziehbar und diese Qualität kam auch dem Flötenkonzert von Carl Nielsen zugute. Schnell entwickelte sich ein Mitteilungscharakter zwischen den Dialogmustern der Klarinette, Oboe, Posaune und den Streichern, die die Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Doch keine Sekunde lang ließ Marina Piccinini Zweifel aufkommen, wer das Sagen bzw. das letzte Wort in diesen ebenso kommunikativen wie sinnlichen und humorvollen Dialogen zwischen der Solistin und den Orchesterstimmen hatte.

Sinnliche Klangbögen


Nielsens Flötenkonzert ist ein Meisterwerk der ständigen Variation. Die Farben der unterschiedlichen Harmonien kristallisierten die Orchestermusiker und die Flötistin wunderbar heraus. Als Dank für den herzlichen Applaus spielten Marina Piccinini und die Symphoniker die Nachtmusik aus „Belsazars Gastmahl“ von Jean Sibelius, in dem sie die großen Bögen mit einer sinnlichen Ruhe zelebrierten.

Zu kurz gegriffen


Jukka-Pekka Saraste ist ein ausgewiesener Spezialist für die Musik von Carl Nielsen und Jean Sibelius. Von Sibelius standen der erste, achte und neunte Satz aus der Suite „Pelléas et Mélisande“ auf dem Programm. Wohl aus Gründen der Konzertlänge wurde auf die restlichen Abschnitte der Suite verzichtet. Doch wegen dieser Kürzungen erschloss sich der Aussagegehalt der Musik nicht. Schade, denn die Wiener Symphoniker und Jukka-Pekka Saraste musizierten emotional und mit einem satt ausbalancierten Orchesterklang. Besonders die Pianokultur im letzten Satz und die introvertierte Atmosphäre, mit der Mélisandes Tod versinnbildlich wurde, wirkten noch lange nach.

Dramatik der Ereignisse


Dieser Schlusssatz und das Finale der vierten Sinfonie von Peter Iljitsch Tschaikowsky waren die Höhepunkte des sinnenreichen Orchesterkonzertes. Als Ganzes überzeugte die Interpretation der Vierten von Tschaikowsky durch die innere Stringenz und die packend gestalteten Themen. Raumgreifende Blöcke und feinsinnig dargestellte kleine Gesten, die wie offene Fragen ausformuliert erklangen, erhielten den nötigen Raum, um sich zu entfalten. Auf diese Weise wurde die Ambivalenz, die Tschaikowsky in diese Sinfonie eingeschrieben hatte, deutlich. Gegenwelten prallten aufeinander und weil die Wiener Symphoniker und Jukka-Pekka Saraste die Musik detailreich und mit stringenten Tempi ausdeuteten, kamen die abrupten Stimmungswechsel nuancenreich zum Ausdruck. Mitreißend musiziert erklang das zerklüftete Finale mit den harten Schüben, Generalpausen sowie wirbelnden, gegenläufigen Linien.